Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
in die Werkstatt, aber ich möchte was Richtiges machen, also in der echten Welt.«
»Was ist denn die Werkstatt? Klingt nach einem John-Grisham-Roman.«
»Behindertenwerkstatt.«
»Ah, okay«, nickte Lars und rührte durch seinen Espresso. »Interessiert dich das denn? Ich meine, handwerklich zu arbeiten, schreinern, werken, zimmern. Ich kann nicht mal einen Nagel in die Wand klopfen.«
»Weiß nicht. Jesus war ein Zimmermann.«
»Stimmt.«
»Und ich bin doch ein Engel.«
»Stimmt auch.«
»Vielleicht gehe ich doch in die Werkstatt. Weil ja alle gehen. Und wegen Jesus und so.«
Ich stützte meinen Kopf auf meiner rechten Hand ab, weil er vom Nachdenken ganz schwer wurde, und saugte etwas Cola durch den Strohhalm.
»Du musst ganz anders an die Sache herangehen«, sagte Lars. »Frag dich einfach, welche Beschäftigung dir am meisten Spaß macht und dann suchst du dir ein entsprechendes Praktikum aus. Als ich in der neunten Klasse war, musste ich das auch machen. Ich bin damals Tag und Nacht Skateboard gefahren. Das war wirklich mein Ein und Alles, also habe ich ein Praktikum in dem Skateshop gemacht, wo ich sowieso immer abgehangen habe. Woran denkst du als erstes, wenn du nach Hause kommst?«
»An dich.«
»Und dann?«
»Weiß nicht.«
»Ich glaube, du solltest etwas machen, wo du mit vielen Menschen zusammen bist. Was hältst du davon, in einem Café zu arbeiten? Du könntest hübschen Mädchen ihren Cappuccino an den Tisch bringen.«
»Meinst du das Café, in dem Mama arbeitet?«
»Ach, stimmt. Na, vielleicht suchen wir noch weiter.«
»Am liebsten würde ich bei einem Friseur arbeiten.«
»Sehr gute Idee.«
»Aber das geht nicht«, sagte ich traurig. »Wegen des vielen Haarsprays und den Chemikalien in den Haartönungen und so. Ich würde keine Luft bekommen. Aber das wäre so schön. Ich mag es, wenn die Frauen schöne Haare bekommen und dann mit einem Lächeln nach Hause gehen. Ich frage bei Edeka.«
»Was?«
Lars schaute mich ganz entsetzt an.
»Bei Edeka – wieso das denn?«
»Weil ich doch meine Chips immer da kaufe.«
»Da finden wir aber noch was Besseres. Bis wann musst du denn einen Platz gefunden haben?«
»Ich glaube, ich habe noch ein Jahr Zeit. Vielleicht auch zwei Jahre. Konnte es mir nicht merken.«
»Und was sagt deine Mama?«
»Mama findet, dass ich mich damit nicht stressen soll. Für sie ist das nicht so wichtig, aber ich will das aus meinem Kopf haben und mich nicht ewig damit beschäftigen. Das blockiert meine Gedanken. Ich weiß schon, warum Mama nicht möchte, dass ich mich jetzt schon darum kümmere. Weil ja niemand sagen kann, ob ich dann noch am Leben bin. Ich will es trotzdem von meiner Hausaufgabenliste streichen. Einfach nur, um es weg zu haben.«
Lars schien darüber nachzudenken, weil er wieder in die Luft guckte. Dann kam Mama mit einer Einkaufstüte von Rewe an unseren Tisch, und ich versuchte mir zu merken, dass ich dort ja auch mal fragen könnte. Bei Rewe gibt es auch leckere Chips.
19
Ich war mit Janine verabredet. Mama hatte einen kleinen Schokoladenkuchen gebacken, weil ich wusste, dass sie den gerne mochte. Ich esse ja keinen Kuchen mehr, aber ich wollte ihr damit eine kleine Freude machen. Janine war ein Mädchen aus der Nachbarschaft, mit der ich mich immer gut verstanden hatte. Jedenfalls in meiner Erinnerung. Ich saß in meinem Zimmer und wartete. Sie hatte geschrieben, um 17 Uhr zu kommen. Ich kontrollierte fünf Mal, ob ich mich vielleicht im Tag irrte, aber ich hatte mir alles richtig gemerkt. Sie kam nicht. Um 18 Uhr versuchte ich sie anzurufen, aber ihr Handy war ausgeschaltet. Ich schickte ihr eine SMS und schrieb ihr auf Facebook eine Nachricht. Keine Antwort. Kein Rückruf. Sie hatte mich einfach vergessen. Dabei sollte sie doch das Highlight meines Tages werden. Janine war schon sechzehn und sehr hübsch, und ihr Beziehungsstatus auf Facebook war Single. Ich hatte mir schon vorgestellt, mit ihr in meinem Zimmer zu sein, alleine, und, ich weiß nicht, vielleicht einen Kuss abzustauben. Aus der Traum. Ich rief Lars an, um ihm alles zu erzählen, aber er war gerade unterwegs, und wir vereinbarten, um 20.30 Uhr zu skypen. Lars saß an seinem Schreibtisch und ich an meinem. Wie jeden Tag.
»Hat sie sich noch gemeldet?«, fragte er.
»Nö.«
»Voll blöd.«
»Ja, ich bin stinksauer auf sie. Immer noch.«
»Ich glaube, sie hat gerade ein paar persönliche Probleme. Das hat nichts mit dir zu tun.«
»Aber dann kann sie es mir doch
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