Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
Ich werde gezwungen, in die Schule zu gehen, wo ich gemobbt werde, und ins Krankenhaus, wo ich gefoltert und ausgehorcht werde. Und dann wissen es die Erwachsenen immer besser. Sie fragen mich zwar nach meiner Meinung, aber wenn ich »Nein« sage, weil ich irgendwas nicht möchte, wie eine Darmspiegelung oder früh ins Bett zu gehen, dann muss ich es trotzdem tun. Aber ich bin nur ein Kind. Ich habe keine Ahnung von der Welt.
Was ich habe, sind Sonderrechte. Und eines davon ist, dass ich mich bei Psychologen blöd stellen darf und mir niemand daraus einen Strick drehen kann. Denn ich bin ja nur ein Kind.
Als die Stunde endlich vorbei war, flehte ich Mama an, mich nicht mehr zu dieser fremden Frau zu schicken. Ich wollte meine Zeit lieber mit Lars verbringen. Zum Glück war Mama auf meiner Seite. Sie findet Psychologen nämlich genauso doof wie ich und versprach mir, alle weiteren Termine abzusagen. Ich drückte sie ganz fest und sagte: »Danke, Mama. Du bist die beste Mama. Und weißt du was? Als Strafe schicken wir jetzt Ester zu dieser blöden Therapietante.«
Darüber musste sogar Lars lachen. Wir packten unsere Sachen zusammen, liefen zur Hauptstraße runter und nahmen den Bus Richtung ELBE-Einkaufszentrum. Ich brauchte dringend was zu trinken.
Mama ging Besorgungen machen, und Lars und ich setzten uns in unser Stammcafé auf unseren Lieblingsplatz. Gino, der uns mittlerweile gut kannte, grüßte uns freundlich, und ich gab unsere Bestellung auf. Ich wusste alles auswendig. Ich sagte: »Wie immer.« Es ist ein schönes Gefühl, wenn man irgendwohin kommt und dort mit seinem Namen angesprochen wird. Man fühlt sich gleich wie ein kleiner Prinz. Das gilt aber nicht für Krankenhäuser. Da wäre es zur Abwechslung mal schön, nicht erkannt zu werden. Wir bekamen unsere Getränke, und ich fragte Lars, warum er eigentlich nie arbeitete. Er fing an zu schmunzeln und sagte: »Mein Vater fragt mich das auch ständig.«
»Jetzt sag doch mal.«
»Ich habe es versucht, mit dem Arbeiten, meine ich, aber es hat nicht so gut funktioniert. Jedenfalls nicht so, wie ich mir das vorstellte. Deswegen arbeite ich heute nicht mehr. Ich schreibe nur noch.«
»Ist das keine Arbeit?«, fragte ich.
»Nicht für mich«, lächelte er. »Es ist eine gute Möglichkeit, sich seine eigene Welt zu erschaffen und so gut es geht nach seinen eigenen Regeln zu leben. Und ich muss mir von niemandem Vorschriften machen lassen. Ich bin frei. Jedenfalls rede ich mir das ein.«
»Hmm, ich will auch frei sein.«
»Ich weiß.«
»Kann ich ein Praktikum bei dir machen?«
»Als was denn?«, lachte Lars. »Ein Praktikum als professioneller Langschläfer oder als Peter Pan vielleicht?«
»Schreibsteller«, sagte ich.
Lars lachte immer noch und schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nicht. Du solltest dir was aussuchen, was dir auch wirklich Spaß macht. Schreiben ist wie lebenslang Hausaufgaben machen. Weißt du noch? Das sind deine Worte.«
»Aber dann könnte ich bei dir in Berlin wohnen. Wir wären jeden Tag zusammen, und ich könnte dir auch jeden Morgen einen Espresso ans Bett bringen. Das schaffe ich! Du musst es mir einmal zeigen, aber dann kann ich es.«
Lars lehnte sich zurück und lächelte. Ich kam einfach nicht hinter sein Geheimnis. Lars geht nie arbeiten, so wie Papa oder Mama, und hat trotzdem immer Geld in der Tasche, wenn wir zusammen unterwegs sind. Das Leben eines Schreibstellers muss toll sein. Lars schläft jeden Tag bis mittags und bleibt bis spät in die Nacht wach, weil er nicht schlafen kann. Das ist voll cool, weil ich heimlich unter der Decke mit ihm skypen kann. Wir erzählen uns von unseren Sorgen, obwohl ich vieles von dem, was ihm durch den Kopf geht, nicht kapiere. Wenn ich ihm das dann sage, lacht er nur und antwortet, dass man nicht alles im Leben verstehen muss. Wir gucken dann so lange Spongebob Schwammkopf zusammen, bis einer von uns eingeschlafen ist. Meistens gewinne ich. Mein Papa hat große Angst davor, arbeitslos zu werden. Ich glaube, dann hat man kein Geld mehr. Als Schreibsteller kann man nicht arbeitslos werden. Ich möchte einfach so sein wie mein großer Bruder. Basta! Ich sah zu ihm rüber, und er hatte noch immer ein Dauergrinsen im Gesicht.
»Wie kommst du überhaupt darauf?«, fragte er.
»Wir haben von unserer Lehrerin die Aufgabe bekommen, uns für übernächstes Jahr eine Praktikumsstelle zu suchen«, sagte ich und lutschte an meiner Zitronenscheibe. »Die meisten der anderen Kinder wollen
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