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Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)

Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)

Titel: Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Amend , Daniel Meyer
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der Mama die weißen und violetten und grünen Pillen aufbewahrt.
    Wenn ich morgens aufstehe, warten sie schon auf mich, um mir den Tag zu vermiesen. Aber ich bin ein Kämpfer. Sie werden nie ein Teil von mir werden, auch wenn sie mich am Leben halten. Ginge es nach mir, würde ich sie gar nicht mehr nehmen. Dann müsste ich mich auch nicht mehr mit Mama streiten. Dann könnte ich sie nur noch liebhaben und bräuchte keine gemeinen Wörter mehr zu ihr sagen. Ich möchte doch nur ein normaler Junge sein. Und normale Jungs müssen nicht so viele Medikamente nehmen. Normale Jungs haben ein gesundes Herz, eine gesunde Leber, eine gesunde Niere, einen gesunden Magen, eine gesunde Wirbelsäule, eine … Jesus im Himmel, gibt es auch nur ein Organ in meinem Körper, das nicht völlig im Arsch ist? Okay, mein Arsch vielleicht, aber selbst da kommt ganz schön oft Blut raus.
    Ich rufe dann Mama. Wenn an der Kacka helles Blut klebt, ist es nicht so schlimm. Ist es aber ganz dunkel, fahren wir sofort ins Krankenhaus. Manchmal verrate ich auch nichts und spüle es schnell den Abfluss runter und tue so, als ob nichts geschehen wäre. Da ich dann aber ein schlechtes Gewissen bekomme und nicht einschlafen kann, mache ich das nicht mehr. Das fühlt sich wie lügen an, und dieses Gefühl möchte ich nicht mit mir herumtragen. Davon bekomme ich Bauchschmerzen.
    Im Krankenhaus fühlte ich mich nicht so gut, und Mama las mir etwas aus ihrem Handy vor: »Man muss nicht unbedingt ein Engel sein, um anderen Menschen das Gefühl zu geben, gebraucht und geliebt zu werden. In den Augen jener Menschen, denen man dieses Gefühl gibt, wird man jedoch zu einem Engel.«
    Ich schaute Mama an und sagte: »Ich bin schon ein Engel.«
    Sie lächelte. Dann wurden wir aufgerufen. Lars kam mit. Und alles wurde gut. Meine Blutwerte waren zwar immer noch eine Katastrophe, aber ich hatte keinen Diabetes. Uns allen fiel ein riesiger Brocken vom Herzen. Ich dachte sofort an ein Meer aus köstlich gesalzenen Balsamico-Chips, in das ich mich legen könnte, und schickte einen Dankesgruß in den Himmel. Ach, endlich gab es mal gute Nachrichten. Ich freute mich schon auf den freien Nachmittag mit Lars, als Mama plötzlich zurück ins Wartezimmer ging und sich setzte. Aus gutem Grund hatte sie mir verschwiegen, dass ich noch einen Termin bei der Kinderpsychologin hatte. Ich konnte diese Frau nicht ausstehen, und Mama wusste das, aber okay, da musste ich jetzt durch. Mal wieder. Aber das Gröbste war überstanden. Für heute.

    Bevor Lars mein großer Bruder wurde, ging es mir gar nicht gut. Ich wollte nicht mehr am Leben sein, dann doch wieder und im nächsten Augenblick wieder nicht. Alles war irgendwie grau und egal. Ich saß planlos in meinem Zimmer herum, ohne irgendetwas zu tun, und wartete ab, dass die Tage endlich zu Ende gingen. Mama nannte es eine Kinderdepression. Ich wusste nicht, was sie damit meinte, es war mir auch egal. Natürlich war es mir egal. Ich wollte meinen Frieden, mit niemandem reden und erst recht keine blöden Fragen beantworten. Und was machte Mama? Schleppte mich zu dieser blöden Kinderpsychologin. Es war aber nicht ihre Idee. Der Vorschlag kam von Ester aus dem Hospiz, weswegen ich stocksauer auf sie war. Eine Woche habe ich deswegen kein einziges Wort mit ihr gewechselt. Ob ich an Mama denke, wenn ich im Krankenhaus liege, wollte die Psychologin während unseres ersten Gesprächs von mir wissen; ob ich schon von Mädchen träume; ob ich mich gerne verlieben würde; ob ich Schmerzen hätte und nur zu stolz sei, um es zuzugeben. Lauter blöde Fragen, wie sie nur Erwachsene stellen können. Warum sollte ich ihr das erzählen? Ich kannte sie doch gar nicht. Hatten diese Krankenhausmenschen keine eigenen Probleme, um die sie sich kümmern konnten? Immer musste ich dran glauben: Tabletten, Arztbesuche, Blutabnahme, Notarzt. Mir hing diese Scheiße nur noch zum Hals raus. Richtig zum Kotzen! Aber wegen meines Magenverschlusses schaffe ich nicht mal das.
    Sosehr ich mich auch bemühte, darüber nachzudenken, ich kam auf keine Lösung. Warum sollte ich noch mal bei dieser Psychologin meine Zeit vergeuden? Damit sich die anderen besser fühlten? Ich finde, die Erwachsenen haben nichts verstanden. Ich verstehe zwar auch nichts, aber ich muss das auch nicht. Ich bin noch nicht volljährig und darf noch keine eigenen Entscheidungen treffen. Obwohl es mein eigenes Leben ist, habe ich darüber kein Mitspracherecht. Das finde ich ziemlich gemein.

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