Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
Randfiguren entgegenschlugen. Unter dem aufgesetzten Stirnrunzeln lauerte die Hoffnung, dass die Antwort nicht unangenehm sein, dass der fragenden Person nichts abverlangt und dass es vor allem nicht zu lange dauern werde.
»Wie’s aussieht, kriegen wir die Sache vielleicht in den Griff«, sagte er und zwang sich, daran zu denken, dass er inzwischen gläubig, ein Jünger, ein religiöser Eiferer war. »Die Chemo schlägt an.«
»Das ist ja phantastisch!« Mit dieser kryptischen, positiven Antwort war sie aus dem Schneider, und damit hatte sich das Thema.
Beryl kochte genau so, wie sie sich kleidete. Alles, was sie zubereitete, wurde unförmig und braun. Das, was sie heute Abend auf dem Herd zusammenrührte, war ein Klassiker: ein Brei aus durchweichten Cashewnüssen, sojagetränktem Tofu und breiig verkochten Pintobohnen.
Der Topf köchelte auf hoher Flamme auf dem Herd vor sich hin, und das Essen war eindeutig angebrannt, bloß nahm Beryl den Geruch nicht wahr. Während er diskret etwas Wasser hinzu gab, dachte Shep darüber nach, dass seine Schwester ihren fehlenden Geruchssinn nicht als Defizit, sondern als Auszeichnung sah. Dieser Tage war alles auf mysteriöse Weise auf den Kopf gestellt, und wer nicht sehen, hören, lernen oder gehen konnte, war etwas Besseres. Insofern wusste er nicht recht, was er mit seinem Mitgefühl anfangen sollte. Zu bedauern, dass seine Schwester mit dem Duft von knackendem Tannenholz nichts anfangen konnte, wäre dann von ihr wohl als Beleidigung aufgefasst worden.
Sie setzten sich, und das Essen auf seinem Teller sah aus wie der Fladen einer magenkranken Kuh. Im Moonbeam Café hätten sie leckeres hausgebackenes Brot und Obstcrumbles bekommen; vielleicht war diese sandig-klebrige Masse ja das, was Beryl wirklich gern aß, er wurde aber das Gefühl nicht los, dass ihm hier eine Lektion erteilt werden sollte. Zumindest würde das plumpe Abendessen nicht vom Hauptprogrammpunkt ablenken, wobei der Hauptprogrammpunkt ebenso wenig appetitlich war.
»Weißt du, wegen Papa«, begann Beryl. »Ich sag’s nur ungern, aber ich hab von Anfang an gewusst –«
»Nein, du sagst es nicht ungern. Tu dir keinen Zwang an. Selbstgefälligkeit gehört zu den Freuden des Lebens.«
»Ich meine doch nur, wie ich damals in Elmsford schon sagte, so was musste ja irgendwann passieren –«
»Okay, bist du fertig? Es ist passiert. Weiter.«
»Jetzt sei doch nicht so zickig. Das ist für uns alle schwer.«
»Am schwersten ist es für Papa.«
»Ja, natürlich«, gab sie zu.
Die Kruste vom Boden des Topfes loszukratzen war ein Fehler gewesen. Angebrannte Fetzen tauchten auf seiner Gabel auf.
»Der Anlass ist natürlich ein Horror für mich«, fuhr Beryl fort. »Aber es ist auch eine Erleichterung, dass Papa und ich mal ein bisschen Ruhe haben, wo wir doch hier so aufeinanderhocken. Er ist aber auch so was von pingelig geworden! Sein ganzer Tag ist total durchgetaktet, und alles muss genau nach Vorschrift gehen.«
Shep nickte in Richtung Computer am Ende des Tisches. »Er scheint deinen Kram hier akzeptiert zu haben. Das spricht doch von Flexibilität.«
»Aber dann mache ich ihm seinen gegrillten Käsetoast. Ich will ein bisschen nett sein. Angenommen, das Brot wird zu dunkel, oder der Käse ist nicht genug geschmolzen. Man muss den Regler auf einen ganz bestimmten Punkt einstellen und einen Topfdeckel über das Sandwich legen, und zwar einen ganz bestimmten Topfdeckel, der genau die richtige Größe hat. Und wenn man die beiden Gurkenscheiben vergisst oder mit ungeriffelter Gurke aus dem Laden kommt, dann gnade einem Gott. Ich hab ihn immer für so sparsam gehalten, aber er hat doch tatsächlich das Brot weggeschmissen und sich ein neues gemacht!«
»Umso besser für ihn«, sagte Shep. »Wie viele gegrillte Käsetoasts wird ein Mann in seinem Alter wohl noch essen?«
»Mann, und was mich wirklich wahnsinnig macht«, fuhr sie fort und mühte sich tapfer um geschwisterliche Komplizenschaft, »das ist seine Zeitung. Er schneidet immer noch diese ganzen Zeitungsartikel aus – du weißt schon, über Schuldenerlass für Dritte-Welt-Länder, alles über Abu Ghraib, die ganz große Aufregung, wenn irgendwo jemand verhungert. Und wenn ich mir dann die Zeitung nehme, sieht sie aus wie diese Schneeflocken, die wir damals in der Schule aus Papier gebastelt haben. Ich hab schon auf ihn eingeredet, nach dem Motto, wenn er irgendeinen Artikel will, können wir ihn runterladen und ausdrucken, aber nein, er
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