Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
die ihm gnädigerweise seinen Schwanz gelegentlich ausborgte, etwa, wenn er pinkeln musste.
Zudem drängte sie ihn zu einer Auseinandersetzung mit sich selbst, für die Jackson wenig Geduld hatte. Es war nicht so, dass er sich selbst »fremd« war oder irgend so ein Blödsinn; Nabelschau war für ihn schwächlicher und sinnloser Mädchenkram. Was geschehen war, war nun mal geschehen. Was nützte also eine Gefühlsautopsie? Man konnte sie sezieren, wie man wollte, aber eine Leiche war und blieb eine Leiche.
Wobei, eine Leiche war sein Schwanz ja nicht gerade. Es war schlimmer als das. Er war entstellt, er war schlaff, und er lebte noch, was die Sache nur schrecklicher machte. Sein Schwanz erinnerte ihn an »Die Affenpfote«, jene Geschichte, die sie bei Mrs William in der achten Klasse gelesen hatten – in der der geliebte Sohn einen verheerenden Unfall hat, durch finstere Mächte wiederaufersteht und eines Nachts an die Haustür klopft. Sein Schwanz stand vor der Tür und wollte rein.
Vor ein paar Wochen hatte Jackson alles Menschenmögliche getan, um zu erklären, was ihn dazu getrieben hatte, auch wenn die Erklärungen offenbar sinnlos gewesen waren und er sich am Ende gefragt hatte, wozu er sich überhaupt die Mühe machte. »Es war nur für den Kick«, hatte er begonnen. »So eine schräge, übermütige Idee, als hätte man immer nur Pralinen geschenkt und wollte sich dieses Jahr mal was einfallen lassen und seiner Frau was wirklich Unerhörtes zum Geburtstag schenken. Wir sind umgeben von Leuten, die sich piercen oder sich neue Nasen machen oder sich Fett absaugen lassen – die ihren Körper wie ein Haus behandeln, das man nach Lust und Laune renovieren kann. Ich repariere ständig anderer Leute Häuser. Ich hab ein bisschen rumgespielt, okay? Eine kleine Geste, einfach nur aus Spaß. Herrgott, ich lass mir weder ein Magenband einsetzen noch meinen Männerbusen verkleinern; ich bin nicht mal tätowiert.«
»Mit diesem Körperteil pfuscht man nicht herum, ›einfach aus Spaß‹«, hatte sie beharrlich gesagt. »Das kauf ich dir nicht ab, Jackson. Dass diese Operation nur zum Spaß war, ein spontaner Einfall, eine kleine Laune.«
»Ich hab mich doch jetzt schon tausendmal entschuldigt. Aber ich seh nicht ein, warum man die Sache zu Tode analysieren muss. Ich komm mir vor, als wäre ich auf einem spontanen Ausflug am Samstagnachmittag gewesen, auf irgendeinem Berg, und plötzlich schlägt das Wetter um, und was als unbeschwerter Spaß begonnen hat, ist plötzlich lebensgefährlich, mit Windböen, die einen fast über die Klippe fegen, und die halbe Mannschaft leidet an Unterkühlung. So was kommt doch vor, meinst du nicht? Aber wenn die Rettungshubschrauber landen, dann halten dir die Sanitäter doch nicht erst mal eine Predigt über die Motivation hinter deiner düsteren und perversen Entscheidung, am Wochenende wandern zu gehen.«
»Du ermüdest mich, Jackson«, sagte Carol, die Lider auf Halbmast. »Meinetwegen kannst du auf Dinnerpartys die Leute mit deinem ganzen Quatsch bombardieren und mundtot machen, aber mich lass bitte aus dem Spiel.«
Er klopfte sich auf die Schenkel, stand auf und ging im Zimmer auf und ab – das von Tag zu Tag kleiner zu werden schien. Er würde ihr schon etwas Handfesteres bieten müssen als einen angeblichen Spleen.
»Hör zu. Willst du die Wahrheit wissen?«
»Das wäre erfrischend.«
»Ist mir aber peinlich.«
»Ich kann mir wenig Peinlicheres vorstellen als die gegenwärtige Situation.«
»Ich …« Verdammt, peinlicher ging’s nun wirklich nicht mehr. Er warf einen Blick aus der Tür, um sich zu vergewissern, dass die Mädchen noch nicht auf den Beinen waren, drehte den Knauf, bis es Klick machte, und senkte die Stimme. »Einmal bin ich überraschend nach Hause gekommen, weil wir einen Auftrag hier in der Gegend hatten. Die Mädchen waren in der Schule, und du musst dich wohl … Na ja, anscheinend hast du dich unbeobachtet gefühlt. Ich hab dich gesucht, und du hast mich nicht gehört, weil du … gerade anderweitig beschäftigt warst. Du warst nämlich hier drin, und du hattest die Tür offen gelassen.« Er hielt inne in der Hoffnung, dass sie sich den Rest zusammenreimen würde, aber stattdessen verschränkte sie die Arme und sagte: »Na und?« Er würde es also ausbuchstabieren müssen.
»Ich hab nicht spioniert, Carol. Ich wollte dich nur fragen, ob du Lust hast, mit mir was zu essen. Aber du warst – na ja, du hattest dich nackt ausgezogen, und es war
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