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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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Mädchen nicht mit irgendeiner phantasiereichen Erklärung beunruhigen wollte, warum Papa plötzlich auf der Couch schlief. Das kleinere Exil in Form eines fünfzig Zentimeter breiten Burggrabens aus kaltem Bettzeug war definitiv schmerzhafter. Sie konnte seinen Anblick nicht ertragen. Gelegentlich drehte sie sich im Schlaf zu ihm um, aber aus reiner Gewohnheit; wenn sie kurz erwachte und feststellte, dass sie mit der Wange an seiner Brust lag, zuckte sie zurück und verzog sich brummend an den äußersten Matratzenrand. Jedes Mal zog sie die Bettdecke mit und ließ Jackson allein in seinen Boxershorts liegen. Inzwischen war es ihm verhasst, in Unterwäsche zu schlafen. Die Boxershorts lösten die gleiche Beschämung aus wie als Junge die Unterhose, die er vor lauter Angst, dass Mutter einen braunen Fleck entdecken könnte, lieber in den Abfall stopfte als in die Wäsche.
    Auch wenn jede Menge Paare also aufhörten mit dem Sex, hätte er nie gedacht, dass Carol und Jackson Burdina dazuzählen würden. Mag sein, dass sie es seit Flickas Geburt nicht mehr so oft miteinander trieben, aber siehe Bobby Sands: Diät und Hungerstreik waren immer noch zwei Paar Schuhe. Der Verlust schuf ein Gefühl der Beklemmung, das über die Schlafenszeit hinausreichte. Denn wenn er nicht im Bett lag, fürchtete er sich davor. Diese schwebende, ineinander verschlungene Trägheit zwischen dem ersten und dem zweiten Weckerklingeln war für ihn immer der schönste Teil des Tages gewesen.
    Schon seit Anbeginn seiner Ehe ärgerte er sich über seine Unfähigkeit, seine Frau tatsächlich zu besitzen. Sie entzog sich ihm; sie hielt sich auf Distanz. Auch wenn Carols Selbstgenügsamkeit ihm immer Respekt eingeflößt hatte, hatte er für sich keinerlei Wunsch nach diesem unbeschwerten, bedürfnislosen Mit-sich-eins-Sein. So weiblich das Bild auch sein mochte, eine kleine innere Leere, jenes kleine, weiche, bodenlose Loch, das immer gefüllt zu werden verlangte, machte aus Jackson einen begehrlichen und somit begehrenswerten Mann. Hätte er sich plötzlich in einen Seelenverwandten verwandelt – einen diskreten, autarken Organismus, der genauso herumwuselte wie sie, der um nichts bat und nichts erwartete, der effizient und unermüdlich tat, was zu tun war, nun – da wäre Carol verdammt übel dran gewesen.
    Denn früher hatte Jacksons Frustration über seine Unfähigkeit, sie … nicht direkt zu besitzen … aber sie einzunehmen , ihm ein belebendes Gefühl der Sinnhaftigkeit und ihnen beiden beste Unterhaltung geboten. Sie hatte ihren Spaß gehabt, ihn damit zu reizen, dass sie immer knapp jenseits seiner Reichweite blieb; er spielte gern den Jäger, der immer etwas zu jagen hatte. Doch nun hatte sich Carols aufreizende Unerreichbarkeit verfestigt, und es machte keinen Spaß, auf Safari zu gehen, wenn der Wildpark leer war.
    Dabei hätte ihn Carol nicht noch zusätzlich bestrafen müssen. Gut, er war nicht konsultativ gewesen – was einfach nur hieß, dass er etwas Teuflisches, etwas unerwartet Pikantes und Unanständiges hatte tun wollen, das ausnahmsweise nichts mit den Kindern zu tun hatte, denn, mein Gott, schließlich hatte die Frau wenig Spontanes im Leben, abgesehen von immer wieder neuen Arztrechnungen oder, Überraschung!, einer nagelneuen Sorte Bakterium, die über Flickas Hornhaut herfiel. Und sicher, er hatte sich vielleicht nicht an den Grundsatz gehalten, dass man ein halbwegs funktionierendes Körperteil am besten in Ruhe ließ. Andererseits sah er auch nicht ein, warum die katastrophalen Auswirkungen dieses unüberlegten Mätzchens allein seine Schuld sein sollten. Hätte er die Infektion vorhersagen können, und hatte er nicht die ganze Packung Antibiotika genommen? Hatte er im Vorfeld nicht reichlich recherchiert? Und wie hätte er nach der begeisterten Aussage seines Cousins Larry wissen können, dass der Arzt ein Quacksalber war? War es seine Schuld, dass sein Schwanz noch immer aussah wie ein unförmiger Hotdog in einem zerdrückten Brötchen, aus dem in der Mitte ein Stück herausgebissen worden war? Er litt ohnehin schon genug, und Carols grausame Kälte war unverdient. Doch die Überzeugung, dass er nicht nur seine eigene Person, sondern auch die seiner Ehefrau verstümmelt hatte, war ihr nicht mehr auszureden. Wie sich herausstellte, glaubte sie wirklich, sein Schwanz gehöre ihr – ihr persönlich, und zwar mit der gleichen Schlichtheit und Vollkommenheit wie zum Beispiel ein Küchenspachtel –, und sie sei es,

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