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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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Herrgott noch mal, wenn du’s einfach nur ein bisschen schärfer gewollt hättest, hätte ich gewartet, bis es die Haarkur wieder im Sonderangebot gibt.«
    Ihr Scherz ließ ein Zugeständnis erahnen, und er setzte sich neben sie aufs Bett. Trotz der Schwüle trug sie neuerdings ein Nachthemd, doch die Tür war zu, und es ließ sich auch wieder ausziehen. Er legte ihr eine Hand auf den Oberschenkel. Sie blickte erst auf die Hand, dann sah sie ihm in die Augen; sie wirkte skeptisch, aber ausnahmsweise nicht feindselig. Es war noch etwas früh nach dem zweiten Eingriff beim Schönheitschirurgen – die Narben waren noch rot und empfindlich –, doch wie ein Arbeitsloser in einer Wirtschaftsflaute würde er sich nun da bewerben müssen, wo es die Jobs gab. Als er sie küsste, blieb sie passiv, aber immerhin schrak sie nicht zurück.
    Als Jackson die Hand unter ihr Nachthemd gleiten ließ, waren sie meilenweit entfernt von einem erotischen Durchbruch mit einer Flasche Haarkur. Er war supersanft und superbehutsam, fragte implizit bei jeder Berührung um Erlaubnis, als wäre sie nicht seine Frau und Mutter seiner Kinder, sondern eine Jungfrau, die es langsam und liebevoll zu verführen galt. Schließlich gelang es ihm, ihr den reizlosen weißen Baumwollsack über den Kopf zu streifen – ein Negligé wäre natürlich undenkbar gewesen – und die beiden herrlichen Vanilleeiskugeln zu umfassen. Carol blieb eher teilnahmslos, hielt ihn aber auch nicht zurück. Der letzte Schritt stand noch bevor: das Abstreifen der verdammten Boxershorts, eine Enthüllung, die ihn jetzt mit Grauen erfüllte; er hätte auf Carols Seite des Bettes das Licht ausmachen sollen, als er noch die Chance gehabt hatte. Beim Herunterziehen schnitt ihm das Gummiband ins Fleisch; er sah, wie sie den Anblick unbedingt vermeiden wollte und doch hinschauen musste, wie sie hinschaute und wieder wegschaute. Besser würde seine Erektion nicht werden, das heißt, mehr war nicht zu holen, und auch wenn das jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, sich darüber Gedanken zu machen, musste er sich eingestehen, dass nach all dem Schnippeln und Ziehen und Häckseln und Zusammenflicken der entstellte Stummel – der an einen halb zerkauten Hühnerhals aus dem Küchenabfall erinnerte – jetzt noch kleiner war als zuvor.
    Als er sich auf sie legte, erinnerte Carols verzerrtes, zuckendes Gesicht ein wenig an den Augenblick, als er sie inmitten ihrer Haarkuraktion erwischt hatte, wobei ihr Gesicht in Wahrheit der wackligen Grimasse eines Patienten kurz vor seiner Darmspiegelung vermutlich näherkam. Da Carol offenbar keine Hilfestellung leisten würde, stützte er sich mit einer Hand auf und versuchte, seinen behinderten Schützling in Position zu bringen. Er schob sich ihr entgegen, sein Schwanz wölbte sich, er zuckte zusammen. Er unternahm einen weiteren Versuch, indem er seinen Mittelfinger wie eine Schiene unter den Schaft hielt, doch mit einer einzigen, zugegebenermaßen anmutigen Bewegung rollte sich Carol unter ihm hervor und stand auf einmal neben dem Bett. »Ich kann das nicht.« Trotz der schwülen Julinacht zitternd, griff sie nach dem Nachthemd, das zerknüllt unter ihrem Kopfkissen lag. »Tut mir leid. Ich hab’s versucht, aber selbst wenn du ihn reinkriegen würdest, Jackson, ich kann’s nicht. Er ist einfach zu widerlich.«
    Carol hatte keinerlei Hang zur Theatralik, und er glaubte eigentlich nicht, dass sie zum Klo rannte, um sich zu übergeben. Aber sie flüchtete ins Bad und schloss hinter sich die Tür, und sie war lange weg.
    »JA, MR POGATCHNIK, es ist nur so, dass –«
    »Hören Sie? Nicht auf meine Kosten. Ich bin Ihnen unzählige Male wegen Ihrer Frau entgegengekommen, Knacker. Aber das hier ist kein Hospiz. Eine Firma ist eine Firma.«
    Jackson spähte hinter seiner Trennwand hervor. Pogatchnik war mit Sommersprossen übersät und hatte kurze Beine, einen kurzen Hals und Finger wie Wiener Würstchen. Mit seinem rot-weiß gestreiften Hemd, den Fettarschbermudas und der umgedrehten Baseballkappe, die aus diesem Winkel wie ein Barett wirkte, hätte nur noch ein Lutscher gefehlt, um das Bild eines Riesenbabys zu vervollständigen. Er war der Einzige im Büro, der gepolstert genug war, um in Sommerklamotten nicht zu frieren; Mitte August dagegen trug Shep eine Daunenweste, und er hatte gelernt, mit Handschuhen zu tippen. Pogatchnik fasste das Bergsteigeroutfit offenbar als Herausforderung auf, und seit Juli steigerten sich die beiden immer: Shep

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