Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
ohnmächtig? Und erwartest du von mir, als deiner Frau, dass ich das attraktiv finde? Warum fühlst du dich nicht wie ein Mann, Jackson? Warum fühlst du dich so – klein ?«
Jackson starrte zornig vor sich hin. Er schenkte sich schwungvoll eine weitere Margarita ein und spülte dabei den Großteil vom restlichen Salz gleich mit ins Glas. Peinlich berührt wandten Glynis und Shep den Blick ab. Es kam schon mal vor, dass sich Carol ins politische Gefecht stürzte, aber meist war sie die Stimme der Vernunft, der Güte sowieso, sie gab allenfalls energische Widerworte. Dass sie vor Freunden schmutzige Gefühlswäsche wusch, war noch nie vorgekommen.
Die anderen drei dachten vielleicht, Shep sei aus der Fliegengittertür verschwunden, um nicht mitansehen zu müssen, wie sein bester Freund zusammengestaucht wurde. Doch in Wahrheit waren es genau die Leviten, die er Jackson selbst seit Jahren schon hatte lesen wollen, und Carols Fragen waren längst überfällig. Er hatte nie verstanden, was Jackson von innen antrieb, woher diese Hitze kam.
Nein, ihm war bloß der verwaiste Grill wieder eingefallen. Als er zu den Steaks kam, mit denen man jetzt eher die Terrasse neu hätte fliesen können, wurde er von Schuldgefühlen übermannt. Die Rumpsteaks hatten ihm vertraut. Als er die Platte mit dem geschrumpften Fleisch und den verkohlten Kartoffeln zurück zur Veranda brachte, nörgelte Jackson: »Niemand lässt sich gern veralbern. Sich für dumm verkaufen. Weißt du noch, als dieser Junge bei uns vor der Tür stand und für zwanzig Dollar die Fenster putzen wollte? Du hast ihm das Geld gegeben, und er ist aufs Fahrrad gestiegen, und weg war er. Du hast ihn nie wieder gesehen. Und du warst sauer. Es waren nicht die zwanzig Dollar, das hast du selbst zugegeben. Es war die Tatsache, betrogen worden zu sein.«
»Ich habe mich über mich selbst geärgert«, sagte Carol, die sich zumindest wieder hingesetzt hatte. »Es war meine Dummheit.«
»Und genau so fühle ich mich. Als würde ich ständig zum Narren gehalten.«
»Ich habe mich nicht zum Narren gehalten gefühlt. Ich war selbst der Narr. Ich hatte es verdient.«
»Vielleicht geht’s mir ja genauso.« Das Paar tauschte einen Blick aus.
Nachdem Shep den Salat aus dem Kühlschrank geholt und den Wein geöffnet hatte, verkündete Carol: »Jackson möchte sich entschuldigen.«
»Wofür?«, fragte ihr Mann.
»Schon gut, Carol«, sagte Glynis und richtete sich in ihrem Korbstuhl auf. »Wenn er nicht über Steuern schimpfen würde, würde er eben über was anderes schimpfen.«
»Aber wir wollten doch eigentlich feiern«, sagte Carol beharrlich. »Jackson scheint vergessen zu haben, warum wir hier sind. Aber ich nicht. Wir beide sind wahnsinnig erleichtert, Glynis, dass es dir wieder besser geht. Ich schwör’s, als Shep das mit der Computertomografie erzählt hatte, musste ich weinen. Also würde ich gern einen Toast aussprechen.« Carol hob das Glas. »Auf deine Genesung. Auf das Wunder der modernen Medizin. Darauf, dass wir uns wieder treffen werden, wenn Glynis ganz gesund ist, wir werden Steaks essen und Margaritas trinken, und dann darf Jackson vielleicht auch über Steuern schimpfen!«
Es war ein tapferer Versuch, die gereizte Stimmung in der Runde umzukehren, aber weder Glynis noch Shep hoben ihr Glas.
»Tut mir leid, Carol«, sagte Shep. »Wir werden wohl auf was Bescheideneres anstoßen müssen. Zum Beispiel auf die Hoffnung auf mehr weiße Blutkörperchen.«
Carol blickte von Shep zu Glynis und stellte ihr Glas wieder ab. »Was ist denn los?«
»Wir haben gestern das Ergebnis einer neuen Tomografie bekommen«, sagte Shep. »Das Mal davor hat uns Goldman in sein Büro gebeten. Also hätte ich wahrscheinlich ahnen können, dass die Nachricht …« – sowohl schlimm , ziemlich schlimm , wie auch lausig oder unbefriedigend lagen ihm auf der Zunge, bevor er schließlich sogar schlecht verwarf – »… dass die Nachricht diesmal weniger ermutigend sein würde, als er es vorzog, uns am Telefon zu informieren. Wahrscheinlich können wir von Glück reden, dass wir keine E-Mail bekommen haben.«
»In der was gestanden hätte?«, fragte Carol.
»Dass …« Shep hatte sich von Anfang an gegen Euphemismen gewehrt, doch unter diesen Umständen brachte er es nicht fertig, noch mal das Wort Krebs zu verwenden. »Dass die Situation fortgeschritten ist. Im Nachhinein tut es mir leid, dass wir’s nicht geschafft haben, die letzte CT zu begießen, als wir noch die
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