Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
Wünschen der anderen Leute wahrnahm. So pflichtschuldig sich einige wenige Freunde noch an ihrer Bettkante einfanden, sah Glynis nämlich sehr wohl, wie erleichtert sie waren, wenn sie gingen.
»Es ist kaum mitanzusehen, wie diese ganzen Menschen in New Orleans alles verlieren«, sagte Carol mit löblichem, aber langweiligem Mitgefühl. »Es sprengt zwar ein bisschen unser Budget, aber ich musste einfach einen Scheck ans Rote Kreuz schicken.«
»Ist nicht dein Ernst«, sagte Jackson barsch.
»Sieh es als Geld von meinem Einkommen«, sagte Carol. »Ich musste etwas tun, sonst hätte ich nicht damit leben können.«
»Aber wir haben doch schon gezahlt, wir tun schon ›etwas‹!«, rief ihr Mann.
»Das genau ist doch die Aufgabe eines Landes, oder etwa nicht? Solidarisch zu sein, anderen in schweren Zeiten zu helfen.«
»Eine Regierung hat genau die Aufgabe, den Leuten in schweren Zeiten zu helfen!«, sagte Jackson, der seine erste Margarita schon intus hatte. » Dafür sollten die Steuern verwendet werden. Bürgersteige. Und Hurrikane!«
»Und die Krankenversicherung«, sagte Shep. »Für jemanden, der behauptet, nicht viel von Regierungen im Allgemeinen zu halten, erwartest du aber ganz schön viel.«
»Nein, das stimmt nicht. Zum Beispiel erwarte ich nicht, dass sie drei Milliarden Dollar pro Woche im Nahen Osten in den Sand setzt oder dass ich die Hälfte aller verdammten Nichtstuer in meinem eigenen Land mitfinanzieren soll. Aber, stimmt, wenn mir schon vom Staat das Geld aus der Tasche gezogen wird, kann ich wenigstens ein paar kümmerliche Dienstleistungen dafür verlangen. Ich will nicht, dass meine Frau einen Job macht, den sie hasst, nur damit mein Kind im Krankenhaus auch behandelt wird. Und wenn eine ganze Stadt nur wegen der inkompetenten Verwaltung ihrer Deiche im Wasser versinkt, dann erwarte ich, dass irgendeiner aus Washington, D.C., den armen Schweinen ’ne Flasche Mineralwasser und ’ne Handvoll Cracker besorgt und sie aufs Trockene schafft. Dieses Monstrum von einer Regierung macht sich nicht mal die Mühe, den Leuten ein trockenes Handtuch zu reichen.«
Bei Jacksons Mitgefühl für seine glücklosen Landsleute in Louisiana hätte Shep eigentlich das Herz aufgehen müssen, hätte ihn die kaum verhohlene Freude an der eigenen Tirade nicht an Glynis erinnert. Ihr Freund war allzu dankbar für jede noch so schlimme Wendung der Ereignisse, wenn sie nur seinem geliebten Konstrukt dienten von den einfältigen und charakterschwachen armen Säuen, die sich von den gewieften und geldgeilen Absahnern schröpfen ließen. Vielleicht war es ganz normal, eher Genugtuung als Trauer zu empfinden, wenn anderer Leute Unglück die eigene Weltsicht bestätigte. Jacksons Schwäche mochte gang und gäbe sein, aber dennoch war sie eine Schwäche: eine Selbstverherrlichung auf Kosten der ungezählten Menschen, deren Glück geopfert worden war.
»Es ist deshalb, weil sie schwarz sind«, sagte Carol. »Das sind Demokraten, wenn sie denn überhaupt wählen gehen.«
»Klar, ich weiß, dass du das denkst und dass alle das denken«, sagte Jackson. Er tauchte einen Selleriestreifen in den dubiosen Dip, biss ab und schob den angebissenen Selleriestreifen auf den Tisch. »Aber ich glaube, es ist einfacher als das und gruseliger. Du hast eine Regierung, die eigentlich nur ein Riesenunternehmen ist und deren treibende Kraft daraus besteht, sich selbst zu befördern und endlos zu vergrößern. Es fällt ihr also gar nicht erst ein, anderen zu helfen. Es ist nicht ihre Aufgabe, anderen zu helfen. Es ist ihre Aufgabe, sich selbst und ihren kleinen Freunden, den Vertragsfirmen, zu helfen, Punkt. Die kleine Säuberungsaktion in New Orleans wird am Ende vor allem den mitmauschelnden Vertragsfirmen in die Kasse spielen, und wenn alles vorbei ist, sind die Vertragsfirmen reich, und die Gegend sieht immer noch aus wie ein Wattenmeer. Millionen, wenn nicht Milliarden Dollar später werden diese armen Wichser immer noch mit ihren kaputten Tiefkühltruhen voller vergammelter Shrimps leben müssen. Mann, Thomas Jefferson würde sich im Grabe umdrehen. Dieses Land ist die reinste Parodie seiner selbst. Eine Farce.«
»Gibt es denn ein Land, das deiner Meinung nach besser ist?«, fragte Shep.
»Nein«, sagte Jackson bereitwillig. »Natürlich nicht. Sie sind alle gleich. So ist der Mensch, Kumpel. Wenn man jemandem die Macht gibt, anderen Leuten ihr Geld abzunehmen, glaubst du etwa, dass das dann nicht tatsächlich auch ausgenutzt
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