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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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Chance hatten. Diese … na ja, das Ergebnis ist einfach nicht so toll.«
    »Es ist nur ein Rückschlag«, sagte Glynis standhaft.
    »Ja«, sagte Shep. »Das meinte ich. Wir haben einen Rückschlag erlitten.«
    »Es bedeutet einfach nur, dass ich ein bisschen länger Chemotherapie bekomme«, sagte Glynis.
    »Ja«, wiederholte Shep. »Es könnte bedeuten, dass Glynis ein bisschen länger Chemotherapie bekommen muss.«
    »Scheiße, das ist ja übel«, sagte Jackson.
    »Das tut mir so leid, das ist aber …« Carol schien ebenfalls ihr inneres Synonymwörterbuch durchzublättern. »Das ist aber enttäuschend. Wie ent-, inwiefern denn weniger ermutigend ?«
    Shep suchte Carols Blick, aber sie hatte sich mit der Frage an Glynis gewandt.
    »Nicht so gut, wie wir uns erhofft hatten, das ist alles«, sagte Glynis gereizt. »Aber Adrian – … Adriamycin scheine ich immer noch gut zu vertragen« – das Husten kam zu illustrativen Zwecken eher ungelegen –, »und es gibt eine ganze Menge anderer Medikamente, die wir noch nicht ausprobiert haben.« Sie begegnete Carols Blick mit einer Herausforderung, bis Carol den Blick senkte.
    »Ja, es gibt heute die erstaunlichsten Therapien«, räumte Carol ein und sah hastig wieder auf ihren Teller. »In allem, was ich so lese, heißt es, dass bei allen Krebsarten die Überlebensrate von Tag zu Tag steigt. Dass Krebs immer mehr zu einer Krankheit wird, mit der man einfach umgehen muss wie mit so vielen anderen chronischen Krankheiten: Herpes, Rückenschmerzen. Ich … ich bin mir sicher, dass sie diese Sache in den Griff kriegen werden. Manchmal müssen sie einfach nur genau das richtige Medikament finden, oder? So lange rumprobieren, bis sie’s gefunden haben.« Sie blickte wieder hoch und brachte ein Lächeln zustande. Carol war sehr viel cleverer, als man auf den ersten Blick annahm. Zwei Minuten, und schon war sie auf den Zug mit aufgesprungen.
    Aber immer wenn es etwas gab, über das man nicht reden sollte – Shep kam ums Verrecken nicht dahinter –, war es auf rätselhafte Weise unmöglich, ersatzweise über ein anderes Thema zu reden. Während sie sich durch ihre Schuhsohlen kauten – Glynis rührte ihr Rindfleisch nicht an –, war dem Vierergespann auch schon der Gesprächsstoff ausgegangen.
    »Kannst du denn nicht wenigstens ein bisschen was essen, Glynis?«, fragte Carol vorsichtig nach wortlosem Besteckgeklimper. »Es ist doch bestimmt wichtig, dass du bei Kräften bleibst. Und das Rind ist zwar gut durch, aber eindeutig von bester Qualität.«
    Glynis stocherte an ihrem Steak herum. »Ich will jetzt hier beim Essen nicht ins Detail gehen. Aber ich kann so was kaum ansehen, ohne mir vorzustellen, wie schwierig es sein wird, das Ganze … am anderen Ende wieder rauszubekommen.«
    »Ah«, sagte Carol.
    Die Steakmesser erzeugten ein unschönes Quietschen auf dem Porzellan. Inzwischen hatte Shep geradezu den Wunsch, dass Jackson etwas zweckmäßig Ärgerliches zur Sprache brächte wie die Alternativsteuer. Nach weiteren zehn Minuten, in denen Carol noch einen verzweifelten Versuch unternahm und lobend das Etikett des Salatdressings hervorhob, war er versucht, sogar selbst die Alternativsteuer ins Spiel zu bringen.

Kapitel 14
Shepherd Armstrong Knacker
Merrill Lynch Konto-Nr. 934 – 23F917
01. 10. 2005 – 30. 10. 2005
Gesamtnettowert des Portfolios: $ 152 093,29
    SEIT ER ERWACHSEN war, hatte sich Shep immer die größte Mühe gegeben, anderen Menschen nichts nachzutragen. Menschen, die er kannte; Menschen im Allgemeinen. Doch allmählich gingen ihm die Vorwände aus – für ihren Freundeskreis, von dem er arglos angenommen hatte, er sei anständig, großzügig und rücksichtsvoll; für die halbherzige Spezies Mensch. Auch wenn es kein toller Abend gewesen war, waren Jackson und Carol immerhin endlich aufgetaucht. Was Shep von allen anderen nicht behaupten konnte. Streng genommen entpuppten sich die meisten Menschen in Glynis’ Leben als so rundheraus enttäuschend, dass ihn manchmal spätnachts eine erstickende Misanthropie überkam wie der Gestank aus einem kaputten Gully.
    Damals im März war Deb entschlossen gewesen, dass Glynis erlöst werden müsse, bevor es zu spät war. Ruby hatte sich der Idee verschrieben, alte Rivalitäten beizulegen und mit ihrer älteren Schwester in einen »Zustand der Gnade« zu treten. Insofern hatte Shep schon damals gefürchtet, dass seine Toleranz gegenüber seinen Schwägerinnen vielleicht, nach wiederholten

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