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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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alles durchkämen, wenn Sie nur Eier in der Hose hätten. «
    »Es geht darum, wie wir alle zu Mitläufern manipuliert werden«, erklärte er auf dem Weg hinaus mit einer Spur seines alten Überschwangs. »Kennst du diese billigen Fernsehsendungen wie Die verrücktesten Polizeivideos der Welt ? Irgendein Versager in einem Pick-up rast mit hundertsechzig als Geisterfahrer über die Autobahn und unsere tapferen Männer in Blau hinterher. Gelingt es dem Bösewicht jemals, sich glücklich aus dem Staub zu machen? Nie im Leben! Am Ende des Clips liegt der arme Wichser immer mit Handschellen im Dreck. Das ist soziale Manipulation, und zwar keine sehr subtile. Verbrechen lohnt sich nicht. Niemand kommt damit durch. Genau wie diese ganzen linientreuen Polizeisendungen, von Dragnet oder Law and Order. Das nennt man vorsätzliche Desorientierung, reine Propaganda.«
    Da stand er nun draußen in der Kälte mit einer Prostituierten und schwafelte über Politik. Sie wirkte belustigt. »Gibt gar keinen Grund, so nervös zu sein, weißt du.«
    »Ich bin nicht nervös«, sagte er. »Ich red immer so.«
    »Kein Wunder, dass du ’ne Eskortagentur brauchst.«
    Sie wollte witzig sein. Eigentlich hätte ihm das gefallen müssen. Unpersönlich konnte er so was nicht durchziehen; es lag nicht in seiner Natur. Er wollte ihre Sympathie gewinnen. Er wollte sie beeindrucken, was jämmerlich war. »Gonorrhö ist nicht das Problem«, sagte er, und dann wurde ihm klar, was er da gerade gesagt hatte und hätte sich dafür in den Hintern treten können. »Ich meine, Logorrhö. Es ist nur, meine Frau zeigt mir … die kalte Schulter.«
    Sie sagte nichts, konnte sich ein kleines Lächeln aber nicht verkneifen.
    »Ja, klar, hast du alles schon mal gehört. Meine Frau ist frigide . Aber sie ist nicht frigide. Und komm nicht auf die Idee, dass ich ein Hausmütterchen in Stützstrümpfen zu Hause sitzen habe. Meine Frau ist traumhaft schön.« Er konnte sich gerade noch davon abhalten, sieht besser aus als du hinzuzufügen .
    »Du musst dich bei mir nicht entschuldigen, ›Jonathan‹. Und, willst du was trinken gehen, ’ne Kleinigkeit essen?«
    »Ich hab nicht viel Zeit. Lass uns gleich zur Sache kommen, wenn du verstehst.« Er hatte am Nachmittag mit Carol telefoniert und ihr erzählt, dass er ein paar Stunden später nach Hause käme, weil er die Neuausrichtung einiger falsch aufgehängter Küchenschränke beaufsichtigen müsse, wodurch für den Kühlschrank gerade mal sechzig Zentimeter Platz geblieben wäre … Die Ausschmückungen hätte er sich sparen können, denn Carol hörte ihm gar nicht zu. Das Eigentümliche an dem Gespräch war, dass sich das Lügen kein bisschen anders angefühlt hatte als sonst, wenn er zu Hause anrief und die Wahrheit sagte. Details hin oder her, heutzutage logen sich die beiden zumindest auf emotionaler Ebene eigentlich ständig an. Deswegen war die wortwörtliche Lüge fast eine Erleichterung gewesen. Es war zumindest ein ehrliches Lügen.
    Caprice führte ihn zu einem unschuldig wirkenden Hotel, einem umfunktionierten Brownstone in der Union Street, das seiner schmutzigen Phantasie spottete. Am Empfang war man geschäftig und gleichmütig, während er seine Brieftasche nach einer Visakarte mit Online-Rechnung durchsah, die unglaublicherweise gerade seinen Kreditrahmen erhöht hatte. Oben im Zimmer waren die Stofflampenschirme mit kitschigen Troddeln behangen; die Tagesdecke war aus heimeligem Chenille, der Druck über dem Bettgestell eine überbordende Farblithografie vom Feuerwerk über der Brooklyn Bridge bei ihrer Eröffnung im Jahr 1883. Ob man’s glaubte oder nicht, der Laden war irgendwie süß.
    Jackson betrachtete den Druck, während er die zwei obersten Knöpfe seines Hemdes öffnete, aber mehr Knöpfe gingen nicht. »Übrigens, eine Woche nach der Eröffnung der Brücke da verbreitete sich das Gerücht, dass sie einsturzgefährdet sei. Bei der Massenpanik kamen zwölf Menschen ums Leben.«
    Caprice trat hinter ihn und ließ die Hände in seine beiden vorderen Taschen gleiten. »Sag bloß.«
    »Du lachst mich aus.«
    Sie hätte es eigentlich abstreiten müssen. »Du hast recht.«
    Jackson drehte sich, umfasste ihre Hüften und erschrak angesichts der ungewohnten Konturen. Dennoch, allein ihre Körperwärme durch den Stoff erregte ihn auf eine Weise, vor der er zuvor ein wenig Angst gehabt hatte. Ihr Parfüm war nicht sein Ding; Carol trug selten kommerzielle Düfte, und was ihn wirklich anmachte, war der

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