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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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schlüpfte aus seiner Schneehose, unter der er ein paar bunte Bermudashorts trug, wie sie Pogatchnik im Sommer bevorzugte, nur dass es gerade Februar war. Zum Schluss zog er einen winzigen batteriebetriebenen Ventilator hervor, den er auf seinen Computer stellte. Das alles gehörte zum anhaltenden Temperaturkrieg (es war gerade zehn Uhr und bestimmt schon an die dreißig Grad warm hier drin), doch wenn Shep vorhatte, Pogatchnik mit dem ganzen Aufzug auf die Palme zu bringen, hätte er wenigstens pünktlich sein können. Irgendwas war los mit dem Kerl, er hatte etwas Mutwilliges und leicht Abgedrehtes, das aber auf eigentümlich stille Weise; abgesehen von seinem Zubehör verhielt Shep sich wie jemand, der, um einen gewissen noch ausstehenden Bestseller zu zitieren, sich jeden Scheiß bieten ließ. Inzwischen war die übrige Belegschaft verstummt, hatte den Blick fleißig auf den eigenen Bildschirm gerichtet und schielte heimlich zur Seite, um Shep und Pogatchnik beobachten zu können.
    »Schön, dass Sie auch mal vorbeischauen, Knacker«, sagte Pogatchnik. »Ich bin richtig überwältigt, dass Sie so gnädig sind. Wie kommen wir zu dieser Ehre? Welchem Umstand verdanken wir die außergewöhnliche Sichtung des großen Faultiers, das sich ausnahmsweise mal unters Volk mischt und tatsächlich zur Arbeit kommt?«
    »Meine Frau hatte gestern vierzig Grad Fieber«, sagte Shep in gleichmütigem Tonfall, schaltete seinen Computer an und rückte den Ventilator zurecht. »Eine Infektion. Ich war die ganze Nacht im Krankenhaus und habe kein Auge zugetan.«
    »Sie sind sich darüber im Klaren, dass chronisches Zuspätkommen und Fehlen bei der Arbeit ein Kündigungsgrund sind – und zwar egal vor welchem Gericht, vor das sie mich schleppen?«
    »Ja, Sir. Und ich verstehe, wie Sie sich zu drastischen Maßnahmen gezwungen sehen könnten, wenn es nur darum ginge, dass ein Angestellter mal verschlafen hat. Wobei das allerdings unmöglich ist, wenn besagter Angestellter gar nicht erst ins Bett gekommen ist.«
    »Ich soll also nicht nur weggucken, wenn Sie hier reingeschneit kommen, wann’s Ihnen passt, jetzt soll ich auch noch Mitleid mit Ihnen haben?«
    »Nein, Sir. Ich erwarte nur, dass Sie Rücksicht auf die außergewöhnlichen medizinischen Umstände in meiner Familie nehmen, wie es jeder andere vernünftige und wohlwollende Arbeitgeber tun würde.«
    »Tja, dann bin ich wohl nicht vernünftig. Sie sind gefeuert, Knacker.«
    Shep erstarrte. Sein Blick durchbohrte den Bildschirm. »Sir. Mr Pogatchnik. Ich kann Ihre Verärgerung nachvollziehen. Und ich verspreche Ihnen, dass ich versuchen werde, pünktlich zu sein und so viele reguläre Werktage einzulegen, wie es meine derzeitige schwierige Lage erlaubt. Mit Ihrer Erlaubnis möchte ich bemerken, dass ich meinen Verpflichtungen immer nachgekommen bin. Die vielen Beschwerden über unseren unterdurchschnittlichen Servicestandard« – hier hielt er inne, und Jackson hörte die undiplomatische Formulierung unser einst beispielhafter und mittlerweile unterdurchschnittlicher Servicestandard heraus – »haben sich nicht angehäuft. Wie Sie sehr gut wissen, hängt die medizinische Versorgung meiner Frau von der Versicherung ab, mit der mich dieses Unternehmen versorgt. Nicht meinetwegen, sondern ihretwegen bitte ich Sie nochmals um Nachsicht.«
    »Verdammte Scheiße, das ist Ihr Pech. Ich habe nicht Ihre Frau eingestellt, und ich betreibe hier kein Hospiz. Wenn Sie Probleme mit dem System haben, schreiben Sie Ihrem Kongressabgeordneten. Jetzt suchen Sie Ihr Zeug zusammen, und raus hier.«
    Pogatchnik hatte allerhand Drohungen ausgesprochen, aber diesmal war es anders. Abgesehen davon, dass ironischerweise zu Allrounder-Zeiten der wenig professionelle Randy selbst ein notorisch unpünktlicher Krankschreibekünstler gewesen war; das Spiel war aus.
    Shep ließ die Schultern sinken, als er erkannte, dass dieser fette, sommersprossige einstmalige Angestellte nicht mit sich reden lassen würde. Er straffte den Rücken, und sein Körper richtete sich neu zu einer so entspannten, symmetrischen Haltung auf, dass er als Yogameister hätte durchgehen können.
    Sein Mund verzog sich zu einem fatalistischen Lächeln. Er wirkte vollkommen gelassen. Jackson glaubte zu verstehen. Wenn man lange genug vor etwas Angst gehabt hatte und es dann geschah, war das schreckliche Ereignis wie eine Erlösung. Man heißt es willkommen. Man freut sich über das Böse. Denn im Bauch des Bösen herrscht keine Angst

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