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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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    AUCH WENN SEIN Puls raste, war es eigenartig banal, seinen neuesten Kreditkartenkauf in einem Starbucks auf der 5th Avenue zu treffen. Das Mädchen auf dem Foto, das er sich im Internet ausgesucht hatte, hatte langes rotbraunes Haar, einen üppigen Busen und einen entrückten Blick gehabt, der eigentlich ein Stimmungskiller gewesen wäre, doch er vermisste die Katz-und-Maus-Spiele, bei denen damals seine Frau nie ganz zu fassen gewesen war, und außerdem wollte er wenigstens ein bisschen was für sein Vergnügen tun müssen. Er nahm sich einen Moment, um einen Blick über die anderen Gäste zu werfen, die neben abgestandenen Cappuccinos auf ihre Laptops einhackten, und erkannte endlich sein persönliches Valentinstags-Geschenk, weil sie aus dem engen roten Top quoll, das sie ihm am Telefon beschrieben hatte. Streng genommen sah sie ihn zuerst und winkte ihm fröhlich zu; zweifellos war sein Kalte-Füße-Blick – der rasche Blick zur Tür, durch die er vielleicht noch heimlich, schnell und leise das Weite suchen könnte – ein Blick, den »Caprice« (oder wie immer sie hieß) schon aus Erfahrung kannte.
    »Sorry«, sagte Jackson, zog einen Stuhl heran und bereute es sofort, da er eigentlich nichts wie raus und die Sache hinter sich bringen wollte. »Du bist nicht das Mädchen auf dem Bild.«
    »Ach, Süßer, das sind wir nie«, sagte sie lachend. »Keine Ahnung, was das für Fotos sind. Und, willst du einen Kaffee?«
    Eher einen doppelten Bourbon. Dennoch ließ sich Jackson einen Kaffee bestellen, damit er einen Blick auf sie werfen konnte, wobei er einen Moment brauchte, bis er begriff, dass sie deshalb mit hochgezogenen Augenbrauen neben ihm stand, weil sie Geld wollte; er hatte nur einen Zehner. Während sie in der Schlange wartete, stellte er fest, dass sie keine schlechte Figur hatte, abgesehen von dem etwas fetten Hintern. Er hatte sich eine der kostspieligeren Seiten ausgesucht, also war sie zumindest nicht aufgedonnert, sondern trug ein stilvolles, figurbetonendes schwarzes Kostüm. Er ärgerte sich zwar, dass sie nicht die war, die er sich ausgesucht hatte, aber immerhin war »Caprice« – nun – weiß. Vorgeblich war sie blond – vielleicht waren die Mädchen ja farbcodiert – wobei er gern zurückgekehrt wäre in die Zeit, als Haarefärben noch ein schändliches Geheimnis war und die Frauen sich mit einem Millimeter dunkler Haarwurzeln nicht aus dem Haus gewagt hätten; seine Eskortierdame stellte ganze zwei Zentimeter zur Schau. Auch die Brüste waren, wie er bei ihrer Rückkehr sah, nicht echt. Als Endzwanzigerin mochte die Frau vielleicht ganz passabel ausgesehen haben, doch ihre Gesichtsproportionen waren schief. An solche Anormalitäten hatte man sich bei Frauen wie der Schauspielerin Julia Roberts zwar inzwischen gewöhnt, bei einer Hure aber drängte sich die Frage auf, wovon ihr Mund wohl so breit geworden war.
    Jackson schlürfte seinen mittelgroßen Coffee of the Day – nur ein paar Dollar, und sie hatte das Wechselgeld behalten –, wobei ihm aufging, dass dieses Treffen an einem öffentlichen Ort hauptsächlich deswegen stattfand, damit sie einen Blick auf ihn werfen konnte. Am normalsten wirkte man jedenfalls, indem man beruhigend langweilig war. »Und, wie lange machst du schon diesen … Job?«
    »Kein Sorge, ich mach das nicht hauptberuflich«, sagte sie luftig, und Jackson hatte zu seiner Überraschung den Eindruck (wie kam es, dass man es in weniger als einer Minute immer bei allen erkennen konnte? Welcher Tupfer im Auge verriet sie?), dass sie schlau war. »Ich finanzier mir damit meinen Kurs in Personalmanagement am Brooklyn Community College. Weißt du, Personalwesen, wie man früher sagte. Da dacht ich mir, es gibt doch keinen besseren Weg, sich ein bisschen Personalmanagement- Praxis anzueignen.«
    Den Spruch hatte sie vermutlich schon öfter losgelassen, aber immerhin war das Eis damit gebrochen. Als sie schließlich gingen, hatte er von seinem (beruhigend langweiligen) Job erzählt und hinzugefügt, dass er außerdem in seiner freien Zeit ein Buch schreibe. Wozu sollte eine solche Begegnung sonst gut sein, wenn nicht, um ein bisschen hochzustapeln? Zuzugeben, dass er über den Titel noch nicht hinaus war, käme nicht gut. Er probierte sogar seinen neuesten an ihr aus: Der Mythos des » gesetzestreuen Bürgers « : Wie wir gutgläubigen Gutmenschen gebrainwashed werden, damit wir uns jeden Scheiß bieten lassen (oder) Sie haben ja keine Ahnung, womit Sie

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