Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
kam sich Jackson vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben wahrhaftig und zutiefst selbstlos vor. »In Wahrheit hatte ich immer das Gefühl, dass ich sie nicht verdient habe. Sie ist so attraktiv und wirklich fähig, egal, was sie anpackt, ob Landschaftsgärtnerei oder IBM. Sie lebt perfekt angepasst an den Fluch eines Kindes mit einer Krankheit, die so selten ist, dass nur noch dreihundertfünfzig andere Menschen auf der Welt daran leiden. Und sie ist so, na ja, gut . Aber ich denke, sie hat sich jetzt endlich damit abgefunden, wie ich die Dinge sehe. Sie stimmt mir zu und findet jetzt auch, dass ich sie nicht verdient habe.«
Vielleicht war es der ruhige, philosophische Tonfall, den Jackson angenommen hatte, die Leichtigkeit des letzten Satzes, aber Shep wandte sich zu seinem Freund, sah ihm forschend ins Gesicht und wirkte verstört von dem, was er sah, oder verstört von dem, was er nicht erkennen konnte, und er schwieg.
Als sie zum Park kamen, musste Jackson an das Gespräch bei ihrem frostigen Spaziergang auf dieser Runde vor etwa einem Jahr denken, als Shep geschworen hatte, Glynis keine »Putenburger-Krankenversorgung« zu kaufen; war der Kerl also losgezogen und hatte eine gut abgehangene Premium-Angus-Hochrippensteak-Versorgung gekauft, und Glynis würde trotzdem ins Gras beißen. Ein weiteres freudiges Ereignis, auf das Jackson nun zu verzichten gedachte. Aussteigen erschien ihm nicht feige, sondern vernünftig. Denn die Kümmernisse, denen er in Kürze zu entkommen plante, passten auf keine Kuhhaut: Flickas Abgang; vielleicht würde auch Carol an Krebs erkranken; Heather, die immer mehr aus dem Leim gehen und keinen Freund finden würde; die unschöne Szene, wenn er Carol seine Schulden gestehen musste, weil vor ihrem Haus gerade ein Schild mit den Worten »Zu verkaufen« aufgestellt wurde; ganz zu schweigen von den Hurrikans, Missernten, Börsenkrächen und Bürgerkriegen und was einem der Rest der Welt sonst noch so ans Bein pinkelte, nur weil man morgens aufgestanden war. Glück bestand meist daraus, dem Unglück auszuweichen, und demnach musste er wohl im Moment zu den glücklichsten Männern auf der Welt gehören.
Jackson wartete, dass Shep die Frage seiner von grober Hand gekündigten Krankenversicherung zur Sprache brachte. Statt dessen erzählte er von seinem Vater.
»Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn nicht besucht habe«, sagte er. »Mit dieser CDiff-Geschichte konnte ich nicht in seine Nähe, wegen Glynis. Irgendwie schaffen sie’s nicht, der Sache Herr zu werden. Trotz immer wieder der nächsten Runde Antibiotika. Vor ein paar Wochen ist dann wohl irgendwas mit mir durchgegangen, als ich mit einer der Schwestern telefoniert habe. Aber pass auf: Als ich mich beschwert habe, dass der Laden offenbar ein Hygieneproblem hat und dass sie vielleicht mal damit anfangen könnten, sich die Hände zu waschen, da hat sie gelacht . Sie meinte, in Laborversuchen, wenn man CDiff zusammen mit dem starken Desinfektionsmittel, das sie benutzen, in eine Petrischale tut, dann wächst es .«
»Diese Scheißdinger vermehren sich in dem Zeug, mit dem sie abgetötet werden sollen? Mann, so viel Entschlusskraft bei einem Organismus kann man eigentlich nur bewundern. Viele denken ja, der Mensch wird eines Tages durch irgendeine höhere Lebensform ersetzt, die in der Evolution weiter ist. Ich persönlich glaube, die Zukunft gehört den winzigen und hirnlosen Lebewesen. In ein paar Tausend Jahren wird die Erde von einer Kruste aus Rhinoviren, Kopfläusen, Schimmel und Streptokokken überzogen sein.«
»Hört sich an, als würdest du dich drauf freuen.«
»Tu ich auch«, sagte Jackson. »Und wie.«
»Mein Vater hat noch mehr abgenommen, haben sie gesagt, was gar nicht gut ist. Aber was mir bei den letzten zwei oder drei Anrufen den Rest gegeben hat, ist nicht nur, dass er so geschwächt klingt. Er sagt, er glaubt nicht mehr an Gott.«
»Gibt’s doch gar nicht«, sagte Jackson. »Der hatte nur einen schlechten Tag, oder er nimmt dich auf den Arm.«
»Es ist ihm total ernst. Er sagt, je näher das Ende rückt, desto mehr könne er erkennen – nämlich, dass es nichts zu erkennen gibt. Er sagt, er wisse nicht, warum er so lange dafür gebraucht hat, weil es so einfach ist, aber wenn man stirbt, stirbt man. Und er sagt, nachdem er all diese Jahre ein frommer presbyterianischer Pastor gewesen sei und dafür jetzt über Monate hinweg gedemütigt werde – in seinem eigenen Durchfall liegen, sich von
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