Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
sie mitbekommen hatte, dass ihr Papa nicht mehr da war. Shep fragte sich, ob Antidepressiva auch etwas zu wirksam sein konnten.) Im Moment schmetterte Heather mit schiefer Stimme das Erkennungslied aus Pogatchniks Werbespot, »The handyman can, oh, the handyman can«, und drehte den Wasserhahn im Takt auf und zu. Es war nervtötend – schlimmer noch, es war nicht auszuhalten –, aber er brachte es nicht übers Herz, ihr irgendetwas zu verbieten, ebenso wenig wie er ihr ein weiteres Stück Streuselkuchen verwehren konnte.
Unterdessen saß Flicka auf dem Küchenhocker wie eine ausgediente Gliederpuppe. Sein Vater war – wo sonst – auf der Toilette. Carol tat, als würde sie Frühstück machen. Sonst die Effizienz in Person, hatte sie jetzt nur eine Schachtel Cornflakes auf den Tisch gestellt, aber weder Schälchen noch Löffel. Statt der Milch hatte sie eine Flasche Tonic aus dem Kühlschrank geholt. Als er in die Küche kam, stand sie wie angewurzelt im Raum, als wäre ihr entfallen, was sie gerade noch hatte tun wollen. Wie bei seiner Digitalkamera war offensichtlich Carols Speicherkarte beschädigt.
Er führte sie zum Tisch und setzte sie auf einen Stuhl; sie wehrte sich nicht. Da Speicherkarten immer nur an einzelnen Stellen kaputtgehen, fuhr ihr Gehirn wieder hoch und formulierte genau das, was Carol Burdina eigentlich hätte sagen sollen. »Vielen Dank für deine Gastfreundschaft in den letzten Tagen. Aber wir können dir hier nicht länger zur Last fallen … Vielleicht sollten wir in ein Hotel ziehen … Die Mädchen … Eigentlich müssen sie ja wieder zur Schule …« Aber sie war nicht bei der Sache, sie klang wie ein Roboter.
Also ging er darüber hinweg. »Glynis, Zach, mein Vater und ich fliegen nach Pemba, und zwar mit dem nächsten Flieger, den ich buchen kann. Ihr solltet mitkommen, du und die Mädchen.«
Wenn sie mit etwas gerechnet hatte – in etwa wie nein, nein, nein, fühlt euch hier wie zu Hause, bleibt ruhig, so lange ihr wollt –, damit jedenfalls hatte sie nicht gerechnet. Sie neigte ein wenig den Kopf und gab ihm zu verstehen, dass er ihre volle Aufmerksamkeit hatte. Auch Flicka blickte hoffnungsvoll.
Carols Lachen hatte etwas von einem Schluckauf. »Ihr geht nach Afrika.«
Der hirnverbrannte Zwischenruf »The handyman can …« ließ die vorgeschlagene Reise noch absurder erscheinen.
»Richtig. Jackson meinte ja mal« – Shep hatte sich fest vorgenommen, den Namen seines Freundes ruhig auszusprechen –, »du glaubtest, ich würde nie fahren.«
»Tja, dann, viel Spaß«, sagte sie ausdruckslos.
»Ihr kommt mit.«
So mutlos sie auch sein mochte, letztlich schlug dann doch ihre berühmte praktische Veranlagung durch. »Geht nicht wegen Flicka.«
»Ich weiß, ihre Krankheit wird eine Herausforderung sein, aber das kriegen wir schon hin.«
»Heiß«, sagte Carol.
»Kühlende Handtücher, Ventilatoren. Wann immer und wo möglich: Klimaanlage.«
»Flugreise. Luftdruck.«
»Alles, was sie tun muss, ist schlucken. Das hat sie doch gelernt.«
»Medikamente.«
»Internet.«
Es war wie ein Badmintonspiel. Der lange Ballwechsel endete mit einem sauberen Schmetterball vom Küchenhocker aus: »Ich fahre nach Pemba.«
Carol wandte sich zu Flicka um und seufzte. »Du kannst nicht nach Afrika fahren.«
Flicka ließ sich von ihrem Hocker gleiten und hangelte sich im Zickzack durch die Küche, indem sie erst einen Stuhl, dann den Tisch und schließlich die Vorratskörbe mit dem Obst packte; in letzter Zeit erinnerte Flickas agiles Seitwärtskraxeln an Jeff Goldblum in der Neuverfilmung von Die Fliege . Sie schob Heather von der Küchenspüle weg, füllte ihre Flasche auf, drehte den Wasserhahn zu, wischte sich in einer einzigen Bewegung mit ihrem Frotteeschweißband ein Rinnsal Speichel vom Kinn und machte sich daran, für ihre stündliche Rehydrierung die Spritze ihrer PEG-Sonde zu füllen. Es war eine Darbietung ihrer Selbstständigkeit, womit sie sagen wollte: Seht ihr? Wieso sollte diese ermüdende Prozedur nicht auch in Afrika möglich sein?
Shep hatte keinen Zweifel, dass Carol vor jenem verhängnisvollen Mittwochabend geschickter darin gewesen wäre, unwiderlegbare Gründe zu finden, warum sich ein behindertes siebzehnjähriges Mädchen nicht auf einer Insel auf der anderen Seite der Welt niederlassen sollte, auf der es nur ein einziges, mangelhaft ausgestattetes, von chinesischen Ärzten betriebenes Krankenhaus gab und wo niemand wissen würde, wie man eine rein
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