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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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hättest mir den Kopf abgerissen. Ich hatte auch schreckliche Angst, irgendwie Kratzer reinzumachen. Aber alle waren immer total geplättet, wenn ich deinen Schmuck anhatte, und ich hab immer allen erzählt: Das hat meine Mutter gemacht. Die konnten’s gar nicht glauben. Also danke, danke! Ich hätte mir nichts sehnlicher wünschen können.«
    Mutter und Tochter schwelgten in Erinnerungen und malten aus, was sie aneinander bewunderten; um nicht ganz abzuheben, gruben sie auch ein paar weniger schöne Erinnerungen aus. Zwischenzeitlich schwiegen sie und zerbrachen sich beide den Kopf, um sich später nicht vorwerfen zu müssen, irgendetwas vergessen zu haben. In abgehackten Sätzen schwang Amelia genau eine jener »Reden«, die ihre Mutter das letzte Jahr über zur Weißglut gebracht hatten. Doch zum ersten Mal war Glynis in der Lage, stillzusitzen und die Komplimente anzunehmen. Es hatte nichts Unsensibles, zu reden, als würde sie sterben, wenn das tatsächlich der Fall war.
    Der Besuch war herzlich genug und gut genug, um nicht übermäßig lang sein zu müssen.
    »Habt ganz viel Spaß in Afrika«, sagte Amelia, nachdem sie aufgestanden war. »Ich hoffe, ihr schafft es bis nach Pemba, bevor …«, sie zögerte, ehe sie in die neue Offenheit hineinfand, »… bevor du stirbst. Und ich hoffe, dass das Ende … nicht zu sehr wehtun wird. Wahrscheinlich haben sich die Dinge nicht ganz so entwickelt, wie du’s gern gehabt hättest, aber ich glaube trotzdem, dass du ein gutes Leben hattest, Mama.«
    Shep hatte schon Angst, dass sich seine Frau mit irgendeinem Satz aus der Affäre ziehen würde, der einem Pogatchnik würdig wäre, etwa: »Tja, es war, wie es war.« Stattdessen warf sie ihrem Mann einen langen Blick zu, bevor sie sich wieder zu ihrer Tochter wandte. »Ja, mein Schatz«, sagte sie. »Ich glaube auch, dass ich ein gutes Leben hatte.«
    Als die beiden Frauen an der Tür standen und einander ansahen, war es ein seltsamer Augenblick, aber seltsam einfach – ja sogar elegant. Sie umarmten sich. Keine der beiden weinte. Ihr Lebewohl war würdevoll: einer diese gelungenen Abschiede, bei dem keiner seinen Pullover vergaß und noch einmal zurückkommen musste.
    »Mach’s gut, Mama«, sagte Amelia.
    »Mach’s gut, Amelia.« Und dann fügte Glynis mit ironischem kleinen Lächeln hinzu: »War nett, dich kennengelernt zu haben.«
    »Ja«, sagte Amelia, und ihr Lächeln war ebenso ironisch, und in ihrer Stimme schwang das gleiche trockene, stilvolle Understatement mit, und es bestand kein Zweifel: Die beiden mussten verwandt sein. »War ebenfalls nett, dich kennengelernt zu haben.«

Kapitel 19
Shepherd Armstrong Knacker
Union Bancaire Privée Konto-Nr. 837-PO-4619
Kontoauszug Februar 2006
Haben: $ 771 398,022
    DIE REISE SELBST hatte etwas von jenen Wohltätigkeitsveranstaltungen, bei der eine tüchtige Gruppe Schwerbehinderter gegen jede Wahrscheinlichkeit den Montblanc besteigt; hätten sie ein paar Sponsoren gefunden, hätte ihre bunte siebenköpfige Schar womöglich Tausende für einen guten Zweck sammeln können.
    Im Anschluss an die neunzigminütige Fahrt zum Kennedy-Flughafen stellte Shep seinen Geländewagen auf dem Langzeitparkplatz ab, wobei er dachte: für sehr lange Zeit . (In ihrem Anschaffungswahn prellten sich die Amerikaner selbst um die Freuden der Entsorgung, die sich bislang als die viel größere Erleichterung entpuppt hatte. Mit jedem Multifunktionsdrucker, mit jeder flannellgefütterten Jeans, die er zurückließ, fühlte Shep sich so viel leichter, dass er, angekommen am Gate 3A, auch ohne Flugzeug nach Pemba hätte fliegen können.) Nach drei Stunden Warterei dauerte der Nachtflug nach London sieben Stunden, gefolgt von einem dreieinhalbstündigen Zwischenstopp in Heathrow, einem achteinhalbstündigen Flug mit Kenya Airlines nach Nairobi, einem weiteren zweistündigen Zwischenstopp, einer Stunde und vierzig Minuten Flug nach Sansibar, einem vierstündigen Zwischenstopp ohne Klimaanlage, was für Flicka bei achtunddreißig Grad fast verheerend gewesen wäre, einem wackligen halbstündigen Flug in einer Propellermaschine mit zwanzig Sitzplätzen, die ihrer ausgeblichenen Ausstattung nach etwa Baujahr 1960 sein musste, einer einstündigen Rumpelfahrt in einem Minitransporter sowie zwanzig Minuten mit dem Schnellboot. Ingesamt dauerte die Reise von Tür zu Tür – wobei ihr Zeltlager streng genommen gar keine hatte – dreiunddreißig Stunden.
    Es mangelte nicht an Zerstreuungen: Shep

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