Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
Fingern. »Pff.«
»Ja, alles ist pff . Dann ist ja vielleicht alles, was du nur in deinem Kopf gemacht hast, genauso wichtig und genauso real und genauso schön wie das, was du da oben aus Metall geschmiedet hast.«
Sie küsste ihn. »Danke.«
»Weißt du, diese Filme …« Er suchte nach Worten. »Weißt du, wie manchmal, mittendrin, ein Film sich ewig hinzuziehen scheint? Ich werd dann immer unruhig, geh pinkeln oder hol mir Popcorn. Aber manchmal, im letzten Teil, wird’s noch mal richtig spannend, und dann, direkt vor dem Abspann, kriegt einer von uns beiden Tränen in die Augen – und dann vergisst man, wie mies der mittlere Teil war. Es ist einem egal, ob er nicht in die Gänge kam oder ob es dazwischen eine Wendung gab, die nicht aufging. Weil der Film einen am Ende doch noch gerührt hat, weil er den Bogen noch geschlagen hat, denkt man beim Rausgehen, dass es ein guter Film war, und man ist froh, dass man ihn gesehen hat. Verstehst du, Gnu«, sagte er zuversichtlich, »wir können immer noch für ein gutes Ende sorgen.«
ALS ER AUS dem Schlafzimmer schlüpfte, lachten sie sogar, wobei schwer zu sagen war, ob Glynis’ erneuerter Sinn für Humor von ihrer Befreiung aus der Realitätsverweigerung oder deren sofortiger Wiederherstellung herrührte.
Bevor er nach unten ging, um für sieben Leute ein Frühstück auf die Beine zu stellen, klopfte er bei Zach an die Tür. Aus dem argwöhnischen Gesicht im Türspalt sprach die drängende Hoffnung, die Wirkung jener bewusstseinsverändernden Droge im Blutkreislauf seines Vaters, egal was es sei, möge nachgelassen haben.
»Deine Mutter ist dabei. Und wie sieht’s mit dir aus?«, fragte Shep. »Ja oder nein?«
»Das war gerade mal eine Stunde!«
»Na und? Nach dem Frühstück muss ich die Tickets kaufen.«
»Du spinnst doch total. Aber … diese vegetarische Pampe, die Tante Beryl immer kocht, kann ich nicht ausstehen. Ich hab keine Lust, Jesus in mein Herz zu lassen, und Oma drückt mich immer in ihre Titten, voll peinlich. Und ich will … ich will Mama nicht im Stich lassen. Also muss ich wohl. Aber stimmt schon, wenn ich einem Sozialarbeiter von deinem bescheuerten Plan erzählen würde, ich wette, die würden dich verhaften.«
»Deswegen müssen wir uns beeilen«, sagte Shep leichthin. »Wir absentieren uns.« Absentieren war so ein Wort, von dem Jackson begeistert gewesen wäre.
»Musst du denn gar nicht bei mir in der Schule Bescheid sagen und den ganzen Scheiß?«, fragte Zach. »Mir ’ne Befreiung holen?«
»Wahrscheinlich schon«, sagte Shep. »Mach ich aber nicht.«
»Aber du kannst doch nicht einfach so gehen .«
»Das macht man so als Absahner.« Bei Sheps seligem Grinsen war jede weitere Frage überflüssig.
Zach gestikulierte in Richtung Erdgeschoss, wo Heather gerade einen neuen Streuselkuchenanfall hatte. »Und was ist mit denen da? Was willst du mit denen machen, sie hier im Haus lassen? Ich glaub nämlich kaum, dass sie so bald zurück nach Windsor Terrace gehen.«
Sein Sohn war der Einzige, den die Neuigkeiten über Jackson nicht schockiert hatten. Vermutlich galt Selbstmord in seiner hikikomori -Clique nachvollziehbarerweise als eine vollkommen vernünftige Alternative zu einem Leben von unbestimmter Dauer in einem kleinen Zimmer. Zachs lässige Erklärung, dass er und seine Freunde sich so selbstverständlich über das »Ausklinken« unterhielten, wie Jugendliche zu Zeiten seines Vaters in die Leihbücherei gegangen waren, war für Shep ein weiterer Beweggrund, den Jungen aus dem Land zu schaffen.
»Damit hab ich mich wohl noch nicht befasst«, musste Shep zugeben. Die Möbel zurückzulassen bereitete ihm das größte Vergnügen. Die Hausbesitzer würden das Zeug entsorgen müssen, aber Shep hatte gerade erst entdeckt, dass man zur Abwechslung auch den anderen mal etwas aufbürden konnte. Die Burdinas im Stich zu lassen war allerdings etwas anderes.
Nachdem er allerdings nun hinter das Geheimnis der schnellen Entscheidungen gekommen war, hatte Shep zwischen der ersten Treppenstufe im Obergeschoss und seiner Ankunft im Erdgeschoss das Problem gelöst.
HEATHER HATTE DEN Wasserhahn über der Spüle nur aufgedreht, um den kinetischen Springbrunnen anzustellen. Sie stocherte unaufhörlich an dem rotierenden Schneebesen und hatte den ganzen Fußboden nass gemacht. (Seit das Mädchen hier war, war sie nicht niedergeschlagen, sondern manisch. Allein ihre Hyperaktivität und die ständigen Fressattacken deuteten darauf hin, dass
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