Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
jüdische degenerative Erbkrankheit wie die familiäre Dysautonomie zu behandeln hatte. Doch an die Stelle dieser systematischen, energischen Mutter zweier Kinder war eine fast noch liebenswertere Frau getreten, die komplett von der Rolle war. Vermutlich drängte sie das, was sie gerade durchgemacht hatte, zur Flucht. Und vielleicht deshalb ließ sie ihre vernünftigen medizinischen Gründe beiseite und beging einen taktischen Fehler.
»Geld«, sagte sie. »Wir haben keins.«
»Ihr habt sogar weniger als keins«, pflichtete er ihr bei. »Ich hab einen Blick auf einige der Kreditkartenrechnungen geworfen, die Jackson bei euch zu Hause vor seinem Computer liegen hatte. Umso mehr ein Grund, das Weite zu suchen. MasterCard wird euch nicht bis an die Küste von Sansibar folgen. Außerdem habe ich Geld. Genug, wenn wir sparsam sind, um auf unabsehbare Zeit in Tansania bleiben zu können. Die Wapemba leben von ein paar Dollar am Tag. Bei unserem Budget sind mindestens fünf Dollar drin.«
Ihre Augen wanderten zu der Cornflakesschachtel und flackerten angesichts der Dutzend, vielleicht sogar Hundert weiteren handfesten Gründe, weshalb dieser groteske Plan niemals in die Tat umgesetzt werden könnte.
»Papa würde wollen, dass wir fahren«, sagte Flicka.
»Sie hat recht«, sagte Shep zustimmend. »Sollen Jacksons Eltern doch die Gedenkfeier organisieren, wenn sie sich dann besser fühlen. Aber ich verspreche euch, und ich hab den Kerl fast genauso gut gekannt wie ihr: Es gäbe keine passendere Gedenkfeier für deinen Mann, als von hier abzuhauen. Wenn es wirklich ein Jenseits gibt, wäre er begeistert, wenn er wüsste, dass du deine Kinder eingepackt und nach Pemba geschafft hast.«
»Aber es läuft doch noch die polizeiliche Untersuchung.«
Noch ein Grund mehr, das Land zu verlassen. Er fragte: »Bestehen für dich irgendwelche Zweifel über das, was passiert ist?« Betrübt schüttelte sie den Kopf. »Warum sich dann über eine Untersuchung den Kopf zerbrechen?«
»Ich fahre mit, Mama«, verkündete Flicka entschlossen, stützte sich gegen die Arbeitsplatte und füllte sich den letzten Schluck Wasser in ihre Kanüle, »ob du und Heather mitkommen oder nicht.«
Als begabte Manipulatorin anderer Leute Kummer hatte Flicka ihre Eltern jahrelang nach ihrer Pfeife tanzen lassen. Jetzt konnte sie ihre Kunst mit weitaus größerer Wirkung anwenden, als sich nur vor den Mathehausaufgaben zu drücken.
EINE LETZTE EINLADUNG blieb auszusprechen – auch wenn es nur eine Geste war, wie man sie Leuten gegenüber ausspricht, von denen man ohnehin schon weiß, dass sie zur Party nicht kommen können. Und siehe da, als Shep Amelia die Sache mit Pemba auseinandersetzte und dass sie natürlich willkommen sei, erklärte Amelia, dass sie nicht bereit sei, alles aufzugeben: ihre Freunde, ihren Job, ihren Freund. Aber sie klang ein wenig verdutzt, also drückte er sich noch einmal bewusst kristallklar aus: »Deine Mutter stirbt, mein Schatz, und endlich weiß sie es auch selbst. Du hast jetzt noch die Chance, dich von ihr zu verabschieden. Und vielleicht kriegt ihr’s diesmal etwas besser hin, als, na du weißt schon, grob gestampft oder cremig .«
Als Amelia das letzte Mal in Elmsford gewesen war, hatte sie ihren neuen Freund dabeigehabt – bestimmt war der Junge ganz in Ordnung, aber angesichts der Umstände fehl am Platz. Die geschwächte Mutter der Freundin hatte nicht mehr die Kraft, die beflissenen Fragen eines normalen Kennenlerngesprächs zu stellen: Und, wo arbeiten Sie? Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus? Woher kommen Ihre Eltern? Natürlich lief gerade eine Kochsendung, was vermutlich der Grund war, weshalb sie sich schließlich den ganzen Besuch hinweg über Kartoffeln unterhalten hatten.
Vor allem über Kartoffelpüree: ob das cremige mit viel Sahne oder das unkonventionelle klumpige mit Stücken und Pelle zu bevorzugen sei. Shep hatte dabeigesessen. Nach zwanzig Minuten Mikroanalyse der Kartoffelzubereitung erforderte es seine ganze Selbstbeherrschung, um nicht aufzuspringen und herauszuplatzen: Pass auf, Teddy oder wie du heißt, ich bin sicher, du bist ein netter Kerl, aber ich fürchte, wir haben jetzt keine Zeit, dich kennenzulernen. Also raus hier; du gehörst hier nicht hin, und deine Freundin hat dich nur mitgeschleppt, um sich hinter dir zu verstecken. Und Amelia, wie du siehst, befindet sich deine Mutter in desolatem Zustand, das könnte also euer letztes Gespräch sein. Wenn du am Ende dasitzt und dir
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