Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
Haus schließlich fertig war, fand Zach kaum noch Gefallen am Faulenzen. Nachdem er von den Fundu-Leuten tauchen gelernt hatte, begann er für die Ferienanlage selbst als Tauchlehrer zu arbeiten. Leider brachte es der Job mit sich, dass der Junge mit dem Schnellboot in die Lagune fahren musste. Dennoch freute sich Shep: Sein einstmals blasser, in sich gekehrter hikikomori hatte sein Zimmer verlassen.
Unterdessen widmete sich Carol der Landschaftsgärtnerei, ihrer eigentlichen Berufung, die sie der Krankenversicherung wegen hatte aufgeben müssen, um zu IBM zu wechseln. Wachsblumen, Magnolien, Eukalyptus, Akazien, Jasmin und Palisander gediehen rasch im äquatorialen Klima. Natürlich musste sie um Sheps wunderliche Springbrunnen herumarbeiten; die abgefahrenen Konstruktionen aus Kokosnussschalen, Mangrovenwurzeln, Muschelhörnern, Taucherflossen und den in Afrika allgegenwärtigen Plastikschuhen waren angesichts der Wasserknappheit ein Luxus, aber er hatte sich einen eigenen Brunnen ausgehoben. Vor dem Haus pflanzte sie Obstbäume: Mangos, Bananen und Papayas zum Selberpflücken beförderten Sheps Versuche beim Brauen von gongo , auch »Löwentränen« genannt, dem tödlichen Selbstgebrannten des Archipels. Hinterm Haus baute sie ein Gemüsebeet mit Kochbananen, Maniok und Möhren an und war bald versiert im Weben von coir , den Fasern der Kokosnussschalen, die sie zu Matten und Körben verarbeitete. Von ihren Marktbesuchen in Chake Chake brachte sie phantastische Leinwände mit Flusspferden, Gazellen und Nashornvögeln im naiven tinga-tinga -Stil mit. Mit Behängen aus kangas, ständig frischen Blumen und Glynis’ frisch poliertem Besteck begann das Innere ihres kleinen Hauses zu erstrahlen.
Carol gab den Heimunterricht für Flicka auf, deren Protest gegen das Lösen von Gleichungen als Zeitverschwendung auf einer landwirtschaftlich geprägten Insel vor der Ostküste Afrikas mehr Gewicht bekam. Flicka machte ihren Unterrichtsboykott dadurch wieder wett, dass sie die Bücher verschlang, die Shep auf seinen Provisionsfahrten mit der Fähre nach Stone Town aus den Secondhandläden mitbrachte. (Sheps eigene literarische Ambitionen entpuppten sich als Totgeburt: Er beendete seine Tage so herrlich erschöpft, dass er nach ein bis zwei Seiten stets einschlief. Vielleicht war er einfach nicht für Romane geschaffen. Ihm war es lieber, eine gute Geschichte zu leben als zu lesen.) Heather dagegen entging ihrem Unterricht nicht ganz so leicht, doch in ihrer Freizeit entwickelte sie sich zu einer bemerkenswerten Schwimmerin. Sie gewöhnten ihr die Antidepressiva ab. Der Speiseplan aus Fisch und Obst sorgte dafür, dass sie groß und schlank wurde und – jetzt, außer Hörweite von Glynis, konnte Shep es ja zugeben – so schön zu werden versprach wie ihre Mutter.
Da sich Sheps Vater nicht immer wieder von Neuem beim Heimpersonal mit dem endemischen Bazillus anstecken konnte, besiegte er das Clostridium difficile, und zur Erleichterung aller Beteiligten benötigte er nicht mehr zehn Mal am Tag die Hilfe seines Sohnes beim Gang zur Toilette. Indem er fleißig seine Krankengymnastik aus dem Pflegeheim machte, kam der alte Mann nicht nur wieder zu Kräften, nein, er unternahm sogar jeden Tag einen strammen Marsch von mehreren Meilen den Strand entlang. Nachdem er seinen Stapel Kriminalromane ausgelesen hatte, begann er selbst handschriftlich einen Krimi zu verfassen. Mit einer Veröffentlichung rechne er zwar nicht, behauptete er, doch wenn sie schon ihr Haus selbst gebaut hätten und ihren Fisch selbst fingen und ihre Körbe selbst flochten, sehe er nicht, warum er im Zuge der allgemeinen Selbstversorgung nicht auch seine eigenen Bücher schreiben sollte.
Das Manuskript wurde nie beendet. Dennoch war Shep erleichtert, dass sein würdevoller, ehrfurchtgebietender Vater nicht dazu verdammt war, in einem Pflegeheim in Windeln zu liegen und sich zu Tode zu scheißen. Womöglich hatte er seine neu gewonnene Vitalität überschätzt, jedenfalls starb er beim Griff nach einer verlockend reifen Mango auf respektable Weise an den Nebenwirkungen eines, so die chinesischen Ärzte, größeren medizinischen Problems als Malaria oder AIDS: dem Sturz aus einem Baum.
Sie begruben Gabriel Knacker neben Glynis auf der Lichtung hinter dem Haus. Was Afrika betraf, war Shep seinem Vater manches schuldig, und die Grabstätte schien ihm angemessen zu sein. Nach der letzten Schaufel Erde sprach er ein paar innige Worte und war froh, keinen Text
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