Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
Phantasie-Walhalla, während deine Schwester obdachlos wird. Wieso musstest du auch Jahr für Jahr unter dem Vorwand der ›Recherche‹ für teures Geld in Urlaub fahren! Jetzt mach mal die Augen auf! Wenn du dich jemals an einen Strand in der Dritten Welt hättest absetzen wollen, um den ganzen Tag Piña Colada zu schlürfen, wärst du doch längst weg, oder nicht? Du könntest mir jetzt in meinem Leben unglaublich helfen, aber nein! Wir alle müssen für deine Trugbilder zahlen, für diese überkandidelte Idee, dass du was Besseres bist und über allem drüberstehst, wo du doch in Wirklichkeit einfach nur genauso ein fest angestelltes Arbeitstier bist wie jeder andere in diesem Land. Ich versuche, was Interessantes aus meinem Leben zu machen und kritische und phantasievolle Filme zu drehen, die in der Erfahrungswelt der Leute was bewirken, und dass das wenig abwirft, ist nicht meine Schuld. Ich arbeite genauso hart wie du, und vielleicht härter, viel härter. Aber ich kann nichts vorweisen, und jetzt hab ich nicht mal mehr ein Dach überm Kopf – dank reicher Kapitalisten wie dir, die unbedingt immer reicher werden müssen. Unterdessen fährst du mit deinem dicken Auto durch die Gegend und wohnst in deinem dicken Vorstadthaus, und dein Bankkonto platzt aus allen Nähten – und für was? Du wirst nur ein Jenseits sehen, lieber Bruder, und da wird’s dir noch verdammt heiß werden, wenn du zu Lebzeiten nicht ein bisschen mehr Nächstenliebe gegenüber deiner eigenen Familie walten lässt!«
Als Beryl seiner Einschätzung nach fertig war, drückte er sanft die Hand seiner Frau, bevor er alle Finger auf dem Tisch verschränkte und sich seiner Schwester zuwandte.
»Du hast recht«, sagte Shep ruhig. »Auch wenn ich es lange gehofft hatte, werden wir jetzt wohl kein faszinierendes und entspanntes Leben in einem erschwinglicheren Land führen. Das tut mir leid. Aber noch mehr tut mir leid, aus welchem Grund das so ist.«
»Und der wäre ?«, fragte Beryl höhnisch.
»Soeben haben wir erfahren, dass Glynis Krebs hat. Sie hat eine seltene und virulente Krankheit namens Mesotheliom. Möglicherweise hat sie sie sogar von mir, weil ich mit asbesthaltigen Produkten gearbeitet habe. Ich werde meine Kräfte und meine Ersparnisse zusammenhalten müssen. Da ich nun die Wahl habe, entweder für Glynis’ Gesundheit zu sorgen oder meiner Schwester auf dem aufgeblähtesten Immobilienmarkt des Landes eine Eigentumswohnung zu kaufen, werde ich mich doch eher dafür entscheiden, das Leben meiner Frau zu retten.«
Ein Lächeln wäre unangemessen gewesen, doch er musste sich beherrschen, damit sich einer seiner Mundwinkel nicht erkennbar hochzog. Am Nachmittag im Park hatte er Jackson erzählt, dass er die »ehrenvolle Aufgabe« übernehmen und seine Schwiegereltern über Glynis’ Krankheit aufklären wolle, da Glynis ihre Verwandten sicherlich ködern und zu einer garstigen Bemerkung verleiten würde, um ihnen dann ihre katastrophale Nachricht ins Herz zu rammen. Vielleicht waren sie beide gar nicht so unterschiedlich, wie Shep oft befürchtet hatte.
»ICH WEISS, DAS klingt jetzt pervers«, sagte Glynis und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, während er den Abwasch machte. »Aber ich habe mich heute Abend köstlich amüsiert. Mir war gar nicht klar, dass Krebs so viel Spaß machen kann.«
»Weißt du was, für sie war das immer schon klar. Dass Jenseits bloß ein ›Trugbild‹ ist.«
»Beryl ist die Kreative, und du bist der Langweiler. Die Leute hängen sehr an solchen Kategorien. Dass du auch mal was Mutiges oder Seltsames tun könntest, würde sie gar nicht wollen.«
Er drehte sich von der Spüle weg und sah sie an. »Würdest du’s denn wollen?«
»Vielleicht«, sagte sie. »Aber nicht ohne mich.«
»Sei ehrlich«, sagte er. »Ohne – das hier. Hättest du allen Ernstes darüber nachgedacht, alles zurückzulassen und mitzukommen?«
»Wenn ich dir glauben darf, wärst du doch überhaupt nie gefahren.«
»Das ist ja jetzt irrelevant.« Er ging erneut dazu über, die schwarze Kruste von der Lasagneform zu schrubben.
»Es ist aber nicht irrelevant«, sagte sie, »ob du mich liebst.«
Er hielt inne. Er spülte sich die Hände ab und trocknete sie mit einem Handtuch. Er kniete sich neben ihren Stuhl und nahm ihr Gesicht in beide Hände. »Gnu. In den nächsten Monaten wirst du noch feststellen«, versprach er, »wie sehr ich dich liebe.« Er küsste sie und ließ seine Lippen auf ihren verweilen, bis er ihren Geist
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