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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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ausgeweidet. Der Hausbesitzer hat die Eingangshalle komplett neu machen lassen, obwohl sie noch in einem super Zustand war, und den ganzen Keller hat er zu ekligen kleinen Studios umfunktioniert, also haben wir jetzt keinen Waschmaschinenraum mehr. Irgendwann hat er endlich die Wohnung meines Nachbarn auf meinem Stockwerk zwischen die Finger bekommen – AIDS –, und das war’s. Fünfundsiebzig Prozent des Hauses ist jetzt offiziell ruiniert, das nennt sich dann ›Grundsanierung‹. Das war’s dann mit der Mietpreisbindung. Ich hab keine Ahnung, was ich machen soll!«
    »Du meinst, er kann dir jetzt abnehmen, was deine Wohnung tatsächlich wert ist?«, fragte Glynis.
    »Ja!«, sagte Beryl zornig. »Bingo, meine Miete könnte von ein paar Hundert Dollar auf ein paar Tausend raufgehen! Tausende und Tausende!«
    »Das wundert mich«, sagte Shep. »Normalerweise werden die Mieter bei uns doch geschützt wie eine bedrohte Tierart.«
    »Wir sind ja auch eine bedrohte Tierart. Mir wäre nichts passiert, aber genau in dem Moment, als der Hausbesitzer diese 75-Prozent-Marke erreichte, hat er sich ein paar Schläger angeheuert und eine Hexenjagd nach illegalen Untermietern veranstaltet. Der Typ, der einfach nur pro forma in meinem Mietvertrag steht und vor ungefähr fünf Mietparteien da gewohnt hat, also irgendwann in der Steinzeit, ist nach New Jersey gezogen. Und ich hab dem auch noch ein Vermögen an Abstand gezahlt. Aber der Vollidiot hat sich umgemeldet, und sie haben’s rausgekriegt.«
    »Das heißt, du stehst nicht im Mietvertrag?«
    »Moralisch gesehen steh ich natürlich drin! Ich wohne da seit siebzehn Jahren!«
    Trotz seiner Ahnung, dass Beryls Ärger sehr bald ihn betreffen würde, verschaffte es Shep eine perfide Genugtuung, dass die Wohnhilfesituation seiner Schwester nun ein Ende hatte. »Auf dem freien Markt«, bemerkte er, »würde die Wohnung fünf- bis sechstausend Dollar im Monat kosten.«
    Glynis sah nicht nur aus, als empfände sie eine perfide Genugtuung . Sie wirkte geradezu entzückt. Seit der Diagnose schien sie an anderer Leute Unglück ihre helle Freude zu haben; umso mehr, wenn Beryl die Leidtragende war. »Und wie ist der Plan? Jetzt erzähl mir nicht, du willst in Amelias Zimmer einziehen.«
    »Ich will ihn verklagen .«
    »Wen? Und für was?«, fragte Shep.
    »Den Typen, der sich seit Jahren einen zurechtmauschelt, um diese 75-Prozent-Marke zu erreichen, wo praktisch keine einzige dieser Renovierungen wirklich nötig war.«
    »Es ist sein Haus.«
    »Es ist meine Wohnung!«
    »Nur wenn du dir die Miete leisten kannst. Hör zu«, sagte Shep und trennte mit der Gabel den schwarz verbrannten Rand von einer Nudel, »du solltest hier vielleicht eher ›das Glas ist halb voll‹ denken. Überleg mal, wie viel Schwein du gehabt hast. Wie toll du’s all die Jahre gehabt hast. Okay, das ist jetzt vorbei –« Ihm stockte die Stimme. Wie toll du ’ s all die Jahre gehabt hast. Okay, das ist jetzt vorbei. Die Rede hätte er genauso gut sich selbst halten können.
    »Niemand ist glücklich«, sagte Beryl, »wenn das Glück gerade zur Neige gegangen ist.«
    »Das kann man wohl sagen«, sagte Glynis.
    Shep gab allen noch einen Nachschlag. Eigens für die Mahlzeit hatte er Glynis’ berühmtes Fischmesser aus Sterlingsilber hervorgeholt, wobei es ein wenig unhandlich war für eine Lasagne und zugegebenermaßen nicht ganz zu der zerbeulten Aluminiumkasserolle passte. Aber er wollte seiner Frau das Gefühl geben, etwas geleistet zu haben, er wollte die seltene Gelegenheit nutzen und mit ihr angeben. Als sie sich zu Beginn hingesetzt hatten, war seine Schwester verpflichtet gewesen, die schlanke silberne Linienführung, die ozeangrüne und aquamarinfarbene Einlegearbeit aus Bakelit, jene Arbeit also, deren Herstellung sie Glynis eigentlich gar nicht zutraute, zu loben. Beryls sichtlich unaufrichtige Komplimente hatten seiner Frau eine gewisse boshafte Freude bereitet.
    Glynis lehnte den Nachschlag ab. Bitte, flüsterte er. Bitte. Er legte ihr trotzdem ein kleines Quadrat auf den Teller und murmelte: Versteh doch. Es geht hier nicht mehr ums Essen . Beryl war zu beschäftigt mit dem Verlust ihres stabilen Mietpreises, um Rückschlüsse auf den vorhergegangenen Dialog zu ziehen. Ohne die geringste Ahnung, wie er jetzt noch auf das eigentliche Thema des Abends zu sprechen kommen sollte, versuchte er, sich schrittweise anzunähern.
    »Apropos Schwein gehabt«, sagte Shep scheinbar nebensächlich, »hast du

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