Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
spüren konnte.
Er wandte sich wieder seiner Aufgabe zu. Es dauerte eine Weile, bis das Wasser im Spülbecken angekommen war. Als zum ersten Mal deutlich wurde, dass sie im erwachsenen Sinne des Wortes »vorübergehend« – also für immer – in ihr Elmsforder Mietshaus gezogen waren, hatte er sich damit getröstet, einen Zimmerspringbrunnen an der Küchenspüle zu installieren. Es war ein eigensinniges Gerät mit einem kulinarischen Grundthema: Das Wasser lief aus dem Wasserhahn durch einen Gummischlauch hoch in eine Pipette, deren Strahl einen runden Schneebesen aus Metall zum Rotieren brachte, woraufhin das Wasser über eine angeschlagene Delfter Teetasse, eine gebogene Suppenkelle, eine altmodische gläserne Zitronenpresse, ein Milchkännchen in Form einer Kuh und einen hölzernen Eislöffel, den er irgendwo auf einem Privatflohmarkt gekauft hatte und der bestimmt hundert Jahre alt war, herabstürzte und schließlich in einem Zinntrichter landete, der das Wasser zurück in die Spüle leitete. Angenehmerweise behielt das heiße Wasser seine Fließgeschwindigkeit und den Druck bei, auch wenn ihm auf seiner langen Reise ein paar Grad abhanden kamen. Der Mechanismus war skurril und verspielt und erinnerte an das Brettspiel »Maus reiß aus«, das er und Beryl als Kinder gespielt hatten. Seine Liebe zu der lustigen Bastelei hatte allerdings einen herben Rückschlag erfahren, als er und Glynis vor einigen Jahren aus Puerto Escondido zurückkamen. In der Abwesenheit ihrer Eltern hatten die Kinder den Schlauch abgenommen. Vermutlich pflegten sie den Quatsch über der Küchenspüle jedes Mal zu entfernen, sobald sie das Haus für sich hatten, um ihn rechtzeitig zur Rückkehr ihres Vaters wieder anzuschließen; zum ersten Mal hatten sie es vergessen. Er ließ gegenüber den Kindern nicht durchblicken, wie sehr sie ihn damit gekränkt hatten. Natürlich wäre es ihm lieb gewesen, sie hätten das Produkt seiner spielerischen Seite mehr zu schätzen gewusst. Doch er konnte seine Kinder schließlich nicht zwingen, das zu würdigen, was ihr Vater an sich selbst würdigte.
»Sag mal, hast du das alles verstanden, diese Sache mit Berlin?«, fragte Glynis, nachdem er den Kampf mit der Kasserolle wiederaufgenommen hatte. »Während du ihr eine neue Wohnung gekauft hättest, wollte sie ihren ganzen Kram zu eurem Vater schaffen. In der Zwischenzeit hättest du ihn in ein Pflegeheim stecken sollen, damit sie ohne seine lästige Anwesenheit hätte wohnen können.«
»Der Verlust ihres Mieterschutzes – sie kann gerade nicht klar denken, sie ist in Panik.«
»Du bist zu gutmütig.«
»Dein Glück.«
»Mein Gott, diese Entrüstung! Als gehörte die Mietpreisbindung zu den Menschenrechten . Und was sollte dieses Gerede von wegen, wie hart sie arbeitet und dass sie nichts dafür kann, dass sie kein Geld damit verdient? Sie hat ihre Entscheidungen getroffen. Wie man sich bettet, so liegt man. Das müsste sie langsam mal einsehen.«
»Uns geht es besser als ihr«, sagte er und fügte hinzu: »Noch. Sie ist neidisch.«
»Aber sie verachtet dich.«
»Nur damit sie sich selbst besser fühlt. Lass sie doch.«
»Aber was denkt sie sich! Hunderttausend Dollar! Und das wäre erst der Anfang, die Tilgungsraten würde sie ja genauso wenig bezahlen. Ich habe dich schon vor Langem gewarnt, wenn du bei kleineren Summen immer wieder nachgibst, wird es kontinuierlich mehr.«
»Es hat mir nichts ausgemacht, ihr ab und zu unter die Arme zu greifen.« Er fragte sich, ob er unter anderen Umständen für den Vorschlag seiner Schwester nicht offener gewesen wäre.
»Und dann noch das mit den ›Millionen und Abermillionen‹. Wie kommt sie nur darauf?«
»Beryl ist wie viele Leute, die kein Geld haben. Sie denkt, es gibt Leute wie sie, und alle anderen haben’s dicke. Sie hat keine Kinder, sie weiß nicht, was die Dinge kosten. Zachs Schulgeld. Die Autoversicherung in New York. Steuern …«
»Du kannst dir sicher sein, dass sie keine zahlt. Und Leute wie deine Schwester sind der Ansicht, dass Leute wie wir noch viel mehr zahlen sollten.«
»Wirklich, ich red schon genauso wie Jackson. Aber Beryl ist sich nicht im Geringsten bewusst, dass ihr Leben von vorne bis hinten subventioniert wird. Dass ihr Müll weggebracht wird, dass sie im Park spazieren gehen kann, dass eine Notaufnahme sie wirklich ohne Krankenversicherung behandeln wird, wenn sie eine blutende Wunde hat – das alles wird von anderen finanziert. Jede Wette, dass sie noch nie
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