Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
nicht immer leicht, die FD-Symptome von den Nebenwirkungen der Medikamente zu unterscheiden; Übelkeit, Schwindel, Tinnitus, Aphthen, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Flatulenz, Ausschläge und Kurzatmigkeit kamen auf beiden Gebieten vor. Doch woran sie bei dieser Episode waren, wurde klarer, als Flicka beim Keuchen zu würgen begann. Dieses schreckliche Würgen konnte man kaum mit ansehen, und irgendwie war es schlimmer als vor der Fundoplikation, wo sie das bisschen, was sie von dem ungewollten Rührei gegessen hatte, in einem dicken Strahl wieder ausgespuckt hätte. Sich richtig zu erbrechen hatte ihr damals zumindest eine gewisse Erleichterung verschafft. Das Würgen jetzt war unaufhörlich und sinnlos, als wollte sich ein winziger Alien mit stumpfen Klauen einen Weg aus ihrem Körper nach draußen bahnen.
»Sie hat eine Krise«, sagte Carol mit grimmiger Miene zu ihrem Mann. Die meisten Ehefrauen würden diese Worte mit melodramatischem Unterton aussprechen; für Carol war es ein kühles klinisches Urteil. »Gott sei Dank bist du wieder da. Halt sie fest.«
Jackson drückte sich seine zappelnde kleine Tochter gegen die Brust. Nachdem er mühsam von hinten mit Knopf und Reißverschluss hantiert hatte, zog Carol ihr die Jeans herunter, tauchte hastig ihren Mittelfinger in Vaseline und schob ihrer Tochter eine kleine, leuchtend orangefarbene Tablette so tief wie möglich in den Anus. Ohne Messung, für die die Zeit gefehlt hatte, war es schwierig einzuschätzen, ob Flickas Blutdruck gestiegen oder gesunken war, aber Carol hatte fachkundig auf niedrig getippt – die Haut des Mädchens war klamm, blass und kalt –, und so verabreichte sie ihr auf die gleiche unhöfliche Weise noch eine rosafarbene Proamatine-Tablette. Flickas ganzes Verdauungssystem hatte sich wahrscheinlich längst ausgeschaltet, und ihr Körper würde nicht mal durch die PEG-Sonde noch Medikamente absorbieren.
»Jetzt denk dran –«, sagte Carol.
»Ja, ja, schon klar«, fuhr Jackson dazwischen. »Wir müssen zusehen, dass sie die nächsten drei Stunden aufrecht sitzen bleibt.« Anerkennung gab es von Carols Seite aus nie. Er wusste ganz genau, wenn sich Flicka nach der Einnahme von Proamatine hinlegte, konnte ihr Blutdruck von knietief bis in den Himmel schießen.
Die ganze Zeit hatte sich Heather sehnsüchtig im Hintergrund gehalten und mit neidischem Blick zugesehen; Jackson fragte sich allmählich, ob sie nicht vielleicht noch dümmer war als angenommen.
Sicherheitshalber führte Carol noch eine zweite Tablette Diazepam ein, und nach wenigen Minuten erfolgte das konvulsivische Würgen in seinen Armen in immer größeren Abständen. Zum Glück hatte Carol Flicka schnell genug mit Valium vollgestopft, um die ganz große Krise – das menschliche Äquivalent zum Computerabsturz – abzuwenden, die auf direktem Wege in die New-York-Methodist-Klinik geführt hätte. Was die Rettungsaktion allerdings kostete, war der Kuchen, der jetzt die Küche mit dem beißenden, gar nicht unangenehmen Duft von verbrannter Schokolade erfüllte.
»TUT MIR LEID, dass der Kuchen nur gekauft ist«, sagte Carol an der Tür. »Aber mit dem Selbstgebackenen gab’s ein kleines Malheur.«
Carol benutzte Flicka niemals als Vorwand, und Jackson bewunderte ihre Disziplin. Es würde auch keiner von beiden erwähnen, wie viel Geld sie der Babysitter kostete. Da Flicka noch immer labil war, hatten sie eigens Wendy Porter angerufen, die ausgebildete Krankenschwester und bezüglich FD auf dem Laufenden war. Sie hätten auch ganz abgesagt, wäre da nicht Flicka gewesen. »Ich mag Glynis«, hatte sie betont, während sie herumstanden und ein Auge darauf hatten, dass sie sich nicht hinlegte. »Sie behandelt mich nie wie einen Vollidioten. Sie fragt mich nach meiner Handysammlung und nicht immer nur nach meiner beschissenen Krankheit. Außerdem kann sie voll gut lästern, was ich immer noch tausendmal besser finde als diese Therapeutenschleimer mit ihrem überzuckerten Getue. Und jetzt ist sie krank. Noch kranker als ich, wenn das überhaupt geht. Sie freut sich doch auf den Abend, und wenn ihr jetzt plötzlich nicht auftaucht, zieht sie das bestimmt total runter. Also wenn ihr extra meinetwegen hier bleibt, dann schluck ich mit Absicht meine Milch falsch und krieg davon ’ne Lungenentzündung, das schwör ich euch.« Es war Erpressung, aber sie tat ihre Wirkung; leere Drohungen waren von Flicka nicht zu erwarten.
Jackson fuhrwerkte in der Küche mit einer
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