Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
zuckte sichtlich zusammen.
»Schwierig«, erwiderte Shep behutsam an ihrer Stelle. »Amelia hat geweint. Zach nicht, wobei ich es ihm gewünscht hätte. Ich glaube, er hat sich’s sehr zu Herzen genommen. Ich hätte nie gedacht, dass es möglich wäre, dass sich dieser Junge noch mehr in sich zurückzieht, sich noch mehr in sein Zimmer verkriecht. Ich fürchte, es geht aber doch. Er hat einfach – dicht gemacht. Er hat nicht eine einzige Frage gestellt.«
»Er wusste es schon«, sagte Glynis. »Zumindest, dass irgendwas in der Luft lag. Weil ich so viel geschlafen habe und so verheult aussah. Weil wir so viel miteinander geflüstert haben und immer aufgehört haben zu reden, wenn er reinkam.«
»Ich wette, er hat gedacht, ihr lasst euch scheiden«, sagte Carol.
»Nein, das glaube ich nicht«, sagte Glynis, nahm die Hand ihres Mannes und begegnete seinem Blick. »Shepherd ist sehr lieb gewesen. Sehr offensichtlich lieb.«
»Na ja, ich hoffe doch, dass ein bisschen Zuneigung nicht so selten vorkommt, dass bei Zach gleich die Alarmglocken klingeln!«, sagte Shep und wirkte dankbar und verlegen zugleich. »Die Sache mit dem Zimmer, die der Junge da betreibt … Nanako, unsere neue Empfangsdame, hat erzählt, dass es in Japan Jugendliche gibt, die ihr Zimmer überhaupt nicht mehr verlassen. Wie sagt man noch mal dazu, haikumori ? Die Eltern lassen das Essen vor der Tür stehen, sammeln die dreckige Wäsche ein, leeren manchmal die Bettpfanne. Die Kinder reden nicht und kommen nie vor die Tür. Hauptsächlich hocken sie vor ihrem Computer. Das ist da ein Riesenphänomen. Solltest du mal was drüber lesen, Jackson, das ist echt was für dich. Eine ganze Subkultur von Jugendlichen, die sagen, ihr könnt uns mal, wir interessieren uns nicht für euren Scheiß. Und das sind auch keine dysfunktionalen Achtjährigen; viele dieser Verweigerer sind mindestens zwanzig. Nanako meinte, das sei eine Reaktion auf den extremen Konkurrenzdruck in Japan. Die Kinder spielen lieber gar nicht erst mit, als eventuell zu verlieren. Auch eine Art Jenseits – nur überdacht und ohne die Kosten für den Flug.«
Indem er das Gespräch auf Japan brachte, gab Shep den anderen zu verstehen, dass man jetzt getrost auch über andere Dinge reden konnte als die Krankheit. Selbst Glynis wirkte erleichtert.
»Diese hiki-kimchi , oder wie auch immer«, sagte Jackson. »Typischer Fall von frühreifem Absahnertum. Das muss man denen schon lassen, so früh darauf zu kommen, dass man sich nur weigern muss, sich um sich selbst zu kümmern, und schon taucht jemand auf und serviert einem sein Sushi auf dem Silbertablett.«
»Aber die führen ja nun nicht gerade ein beneidenswertes Dasein«, sagte Carol. »Niemand von uns würde sich so etwas für Zach wünschen.«
Die Standhaftigkeit seiner Frau konnte manchmal anstrengend sein. »Hör mal, Shep, ich hab ein bisschen drüber nachgedacht über das Problem, dass meine Titel für meine zukünftigen Leser nicht schmeichelhaft genug sind.« Jackson tauchte ein Dreieck Pita in seinen Humus, um wenigstens den Anschein von Appetit zu erwecken. »Also, wie findest du den hier: Nur weil Sie ein Warmduscher sind und sich von gewieften Füchsen auswringen lassen, macht Sie das nicht gleich zum Charakterschwein. «
Es war eine gute Überleitung.
»Apropos auswringen«, sagte Glynis. »Vor ein paar Tagen war Beryl zu Besuch. Sie wollte doch tatsächlich, dass wir für sie die komplette Anzahlung für eine Eigentumswohnung in Manhattan leisten.«
»Wieso nicht gleich noch ’ne Luxusjacht dazu?«, sagte Jackson. »Großer Gott, die Frau ist wirklich der Mega-Absahner. Ist euch schon mal aufgefallen, wie diese Künstlertypen ständig von uns durchgefüttert werden wollen? Als müssten wir ihnen dankbar sein, dass sie uns armen unkultivierten Neandertalern was Sinnvolles und Schönes bescheren. Er und Beryl waren sich ein Mal begegnet: Öl und Wasser. Sie hielt ihn für einen eiskalten konservativen Irren, er sie für eine hohle scheißliberale Nervensäge. Wann immer das Gespräch auf Sheps Schwester kam, kannte Jackson kein Pardon.
»Aber Schatz«, sagte Carol. »Ich dachte immer, die Absahner wären ›schlauer und mutiger‹. Ich dachte, du bewunderst sie. In dem Fall müsstest du doch zu Beryl aufblicken, oder?«
»Mir sind Leute lieber, die mit einem Mord davonkommen und wissen, dass sie mit einem Mord davongekommen sind. Beryl dagegen spielt sich als Opfer auf, als wäre ihr irgendein schreckliches Unrecht
Weitere Kostenlose Bücher