Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
durchaus seine Vorzüge gehabt. Shep hatte nicht das Gefühl, dass er die beste Zeit seines Lebens einem Luftschloss opferte. Körperliche Arbeit hatte ihm immer zugesagt, schon immer hatte er eine gewisse Form von Erschöpfung zu schätzen gewusst, die sich nicht etwa im Fitnessstudio, sondern eher beim Bau von Bücherregalen einstellte. Es gefiel ihm, sein eigener Chef zu sein und niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen. Auch wenn sich Glynis als ein anstrengender Charakter entpuppte und sich selbst niemals als glücklich bezeichnet hätte, ließ sich wahrscheinlich behaupten, dass sie mit ihm glücklich war – zumindest so weit, wie sie es eben sein konnte mit einem anderen Menschen. Er war froh, als sie sofort mit Amelia schwanger wurde. Er hatte es eilig, wollte unbedingt in der Hälfte der üblichen Zeit durch sein Leben rasen; es wäre ihm weitaus lieber gewesen, wenn Zach gleich im Anschluss geboren worden wäre und nicht erst zehn Jahre später.
Was das Jenseits betraf, hatte Glynis in der Anfangszeit den Eindruck gemacht, dass sie mit von der Partie sei. Sein Status als Mann mit Mission hatte ihn in ihren Augen wohl überhaupt erst attraktiv gemacht. Ohne seine Vision, ohne das immer konkretere Leben-B-Konstrukt, das in seinem Kopf Gestalt annahm, war Shep Knacker nur einer von vielen Kleinunternehmern, die eine Marktnische entdeckt hatten: also nichts Besonderes. So aber war die Suche nach einem Zielland in Form der allsommerlichen Recherchereisen ein belebendes Ritual ihrer Ehe geworden. Sie waren ein Team, oder zumindest hatte er das geglaubt, bis ihm im letzten Jahr allmählich zu dämmern begann, dass das Gegenteil der Fall war.
Als ihm also im November 1996 ein Kaufangebot gemacht wurde, konnte er nicht widerstehen. Eine Million Dollar. Nüchtern betrachtet erkannte er, dass eine Million nicht mehr das war, was es einmal gewesen wäre, und dass er Kapitalgewinnsteuer würde zahlen müssen. Dennoch war die Summe noch immer eine ehrfurchtgebietend runde Nummer; ganz gleich, wer alles »Millionär« wurde, das Wort hatte nichts von seinem Zauber verloren. Zusammen mit den Früchten seines lebenslangen Knauserns würde der Erlös aus dem Verkauf von Allrounder genügend Kapital einbringen, um nie wieder zurückblicken zu müssen. Also spielte es keine Rolle, dass der Käufer – ein Angestellter so faul und schlampig, dass sie den Kerl fast entlassen hätten, bis er zu aller Überraschung an seinen Treuhandfonds kam – ein unerfahrener Großkotz und Schwätzer war.
Und dieser Mensch, Randy Pogatchnik, war jetzt Sheps Chef. Nun ja, anfangs erschien es schon sinnvoll, in seiner ehemals eigenen Firma als Angestellter weiterzuarbeiten – die über Nacht »Handy Randy« getauft worden war, ein Name, der wohl kaum ein professionelles Firmenimage vermittelte, da »randy« in den Ohren nicht weniger Amerikaner etwas anzüglich klang: rallig. Die ursprüngliche Idee war gewesen, ein bis zwei Monate dabeizubleiben, um in Ruhe zu packen, diverses Hab und Gut zu verkaufen und zumindest fürs Erste ein Haus in Goa zu finden. Unterdessen hatte Shep das Kapital in bombensicheren Investmentfonds geparkt, um es vor der Schlachtung noch ein wenig zu mästen; der Dow Jones war im Höhenflug.
»Ein bis zwei Monate« hatten sich ausgedehnt auf über acht Jahre unter den sadistischen Launen eines übergewichtigen, mit Sommersprossen übersäten Bengels, der von seiner Beinahe-Entlassung Wind bekommen haben musste und den Laden nur gekauft hatte – so viel musste man dem Kerl lassen –, um teuflisch effektiv Rache zu nehmen. Nach dem Verkauf war das Qualitätsniveau so in den Keller gesunken, dass sich Sheps Stelle in der »Kundenbetreuung« zur Entgegennahme von Beschwerden – eine Position, die zu seiner Zeit als Geschäftsführer nicht mal existierte –, zu einem anspruchsvollen und ausgesprochen unangenehmen Vollzeitjob entwickelt hatte.
Rückblickend war es natürlich völlig idiotisch, einige Jahre zuvor das Haus in Carroll Gardens abgestoßen zu haben – kurz nach einer Rezession und kurz vor einem Immobiliencrash –, um nach Westchester zu ziehen und dort zur Miete zu wohnen. Shep wäre liebend gern in Brooklyn geblieben, aber Glynis hatte beschlossen, dass sie sich nur dann endlich auf »ihre Arbeit« konzentrieren könne, wenn sie den »Ablenkungen« der Stadt den Rücken kehrte. (Wohl wissend um seine Schwäche, hatte sie zudem ein listiges finanzielles Argument ins Spiel gebracht: Das hohe Niveau
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