DIESES MAL IST ALLES ANDERS
Preise für riskante Vermögenswerte könnten also durchaus gerechtfertigt sein.
Wir könnten hier einhalten und sagen, dass viele Menschen davon überzeugt waren, dieses Mal sei alles anders, weil die USA etwas »Besonderes« seien. Angesichts der historischen Natur der jüngsten US- und globalen Finanzkrise wird uns ein wenig mehr Hintergrundinformation helfen, zu verstehen, warum sich so viele Menschen täuschen ließen.
Die Risiken der anhaltenden US-Auslandsverschuldung: die Debatte vor der Krise
Der ehemalige US-Notenbankpräsident Alan Greenspan war einer derjenigen, die die Skeptiker, die sich große Sorgen über das wachsende Leistungsbilanzdefizit der USA machten, als Panikmacher abstempelten. 8 Greenspan argumentierte, die klaffende Lücke in der Leistungsbilanz, die im Jahr 2006 mehr als 6,5 Prozent des BIP betrug (das entspricht mehr als 800 Milliarden Dollar), sei zu einem erheblichen Ausmaß ganz einfach ein Spiegelbild eines breiteren Trends zu einer engen globalen finanziellen Verflechtung, die Ländern ermögliche, dauerhaft wesentlich höhere Leistungsbilanzdefizite beziehungsweise -überschüsse zu tragen als in der Vergangenheit. In seinem 2007 veröffentlichten Buch charakterisierte Greenspan das anhaltende Leistungsbilanzdefizit als zweitrangiges Problem und keinen vorrangigen Risikofaktor, das heißt als einen Faktor, der (zusammen mit anderen Faktoren wie den explodierenden Immobilienpreisen und dem beachtlichen Anstieg der Verschuldung der Privathaushalte) keinen Anlass darstelle, US-Politiker im Vorfeld der 2007 einsetzenden Krise in eine übermäßige Besorgnis zu stürzen. 9
Greenspan stand mit seiner relativ optimistischen Sicht der amerikanischen Verschuldung keineswegs allein. Der damalige US-Finanzminister Paul O’Neill behauptete bekanntermaßen, angesichts des hohen Produktivitätszuwachses in den USA sei es völlig natürlich, dass andere Länder den USA Geld liehen, und die Leistungsbilanz sei ein »bedeutungsloses Konzept«. 10
Greenspans Nachfolger, Ben Bernanke, beschrieb die hohe US-Verschuldung in einer Rede aus dem Jahr 2005 bekanntermaßen als Produkt eines »globalen Ersparnisstaus«, der von dem Zusammentreffen mehrerer Faktoren bewirkt worden war, auf welche die US-Politiker zum großen Teil keinen Einfluss hatten. 11 Zu diesen Faktoren gehörte der ausgeprägte Wunsch vieler Schwellen- und Transformationsländer, sich nach der Krisenwelle in Lateinamerika und Asien während der 1990er- und zu Beginn der 2000er-Jahre gegen zukünftige Wirtschaftskrisen abzusichern. Gleichzeitig suchten die Länder des Nahen Ostens nach Wegen, um ihre Öleinkünfte zu nutzen, und Länder mit unterentwickelten Finanzsystemen, wie zum Beispiel China, wollten in sicherere Vermögenswerte diversifizieren. Bernanke argumentierte, angesichts der rapide alternden Bevölkerung in Ländern wie Japan und Deutschland sei es nur natürlich, dass diese Länder hohe Sparquoten aufwiesen. Alle diese Faktoren zusammen trugen zur Bildung eines riesigen Pools an Nettoersparnissen auf der Suche nach einem sicheren und dynamischen Hafen für Geldanlagen bei – die USA. Selbstverständlich bedeutete diese billige Finanzierungsquelle für die USA eine Chance. Die Frage, mit der sich die Regierung intensiver hätte beschäftigen sollen, lautet: »Kann es von einer guten Sache auch zu viel geben?« Das »Dieses Mal ist alles anders«-Argument hört man in den Reden der Regierungspolitiker aufstrebender Ökonomien einfach viel zu oft, und zwar immer dann, wenn die jeweiligen Länder massive Kapitalzuflüsse erleben: »Die geringe Rendite in den übrigen Ländern der Welt macht Investitionen in unser Land besonders attraktiv.«
Als das Kapital in die USA strömte, realisierten US-Finanzunternehmen, einschließlich mächtiger Investmentbanken wie Goldman Sachs, Merrill Lynch (die 2008 in einer »Schnellschuss-Ehe« von der Bank of America übernommen wurde) und die inzwischen nicht mehr existierende Investmentbank Lehman Brothers sowie große Universalbanken (mit Einzelkundenbasis), wie zum Beispiel die Citibank, allesamt hohe Gewinnzuwächse. Die Größe des US-Finanzsektors (Banken und Versicherungen eingeschlossen) wuchs auf mehr als das Doppelte an, und zwar von durchschnittlich rund 4 Prozent des BIP Mitte der 1970er-Jahre auf fast 8 Prozent des BIP im Jahr 2007. 12 Die Spitzenverdiener unter den Mitarbeitern der fünf größten Investmentbanken teilten sich 2007 einen Bonuspool von mehr als 36
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