DIESES MAL IST ALLES ANDERS
weiterer Nobelpreisträger) entwickelten ein Modell zur effektiven Kalibrierung der »dunklen Materie« und stellten fest, dass diese Erklärung durchaus auf die Hälfte des US-Leistungsbilanzdefizits zutreffen könnte. 22
Neben der Diskussion über die US-Auslandsverschuldung diskutierten Ökonomen ebenfalls die verwandte Frage, ob die Regierungspolitiker auch über die Explosion der US-Immobilienpreise (wie im vorhergehenden Abschnitt dargestellt) hätten besorgt sein müssen. Doch auch hier argumentierten die Spitzenpolitiker, die hohen Immobilienpreise ließen sich durch neue Finanzmärkte rechtfertigen, welche die Aufnahme von Immobilienhypotheken erleichterten, sowie durch geringere makroökonomische Risiken, die den Wert riskanter Vermögenswerte erhöhten. Sowohl Greenspan als auch Bernanke vertraten mit Entschiedenheit die Auffassung, es gebe keinen Grund, warum die Federal Reserve Bank den Immobilienpreisen, abgesehen von ihrem Effekt auf die vorrangigen Wachstums- und Preisstabilitätsziele der Zentralbank, eine besondere Aufmerksamkeit schenken sollte. Bevor Bernanke zum Nachfolger von Alan Greenspan als Notenbankchef ernannt wurde, hatte er dieses Argument sogar mit Nachdruck in einem Artikel geäußert, den er im Jahr 2001 zusammen mit Mark Gertler, Professor an der New York University, verfasst hatte. 23
Einerseits basierte die Logik der amerikanischen Notenbank – die Ignorierung der Immobilienpreise – auf der durchaus nachvollziehbaren Vorstellung, der Privatsektor könne das Gleichgewicht der Immobilienpreise (beziehungsweise Aktienpreise) mindestens genauso gut wie irgendein Politiker beurteilen. Auf der anderen Seite hätte sie der Tatsache mehr Beachtung schenken sollen, dass der Anstieg der Assetpreise von einem ungebremsten Anstieg der Verschuldung der Privathaushalte, gemessen am BIP, genährt wurde – und das vor dem Hintergrund eines Rekordtiefstands der privaten Sparquote. Dieses Verhältnis zwischen der Verschuldung der Privathaushalte und dem BIP, das seit 1993 mit nahezu 80 Prozent des persönlichen Einkommens relativ stabil gewesen war, stieg im Jahr 2003 auf 120 Prozent und bis Mitte 2006 auf fast 130 Prozent. Die von Bordo und Jeanne sowie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich durchgeführte empirische Studie deutete darauf hin, dass das Risiko einer Krise signifikant ansteigt, wenn Immobilienbooms von einem drastischen Anstieg der privaten Verschuldung begleitet werden. 24 Auch wenn diese Studie nicht unbedingt einen verbindlichen Charakter hatte, warf sie gewiss Fragen in Bezug auf die Politik des freundlichen Wegschauens – als »Benign Neglect« bezeichnet – der US-Notenbank auf. Andererseits induzierte die Tatsache, dass zahlreiche Länder weltweit einen Immobilienboom erlebten (wenngleich dieser, wenn überhaupt, in Ländern mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen, wie Deutschland und Japan, ein wesentlich geringeres Ausmaß erreichte), Fragen über die Entstehung des Problems sowie die Frage, ob die nationale Geld- beziehungsweise Regulierungspolitik allein eine effektive Lösung bieten könne.
Bernanke – im Jahr 2004 noch Zentralbankgouverneur – argumentierte ganz richtig, es sei die Aufgabe der Regulierungsbehörden, und nicht der Geldpolitik, Immobilienblasen zu beseitigen, die von unangemessen niedrigen Kreditstandards genährt würden. 25 Allerdings wirft dieses Argument die Frage auf, was geschehen soll, wenn die Regulierungsbehörden aus politischen oder anderen Gründen keine angemessene Antwort auf Assetpreisblasen geben. Man kann natürlich argumentieren, dass es gerade der gewaltige Kapitalzufluss aus dem Ausland war, welcher der Assetpreisinflation Auftrieb gab, sowie die geringen Zinsspreads, die den Regulierungsbehörden und Rating-Agenturen letztlich den Blick auf die Risiken verstellten.
Auf jeden Fall wurden die extremsten und dringlichsten Probleme vom Markt für Hypotheken zweitrangiger Bonität ausgelöst, die an Kreditnehmer mit geringem Einkommen vergeben wurden. »Fortschritte« in der Verbriefung sowie die scheinbar endlose Aufwärtsbewegung der Immobilienpreise ermöglichten Bevölkerungsgruppen den Kauf eines Eigenheims, die zuvor niemals geglaubt hatten, dass sie sich jemals eine Immobilie leisten könnten. Unglücklicherweise hingen viele dieser Kreditnehmer von Hypotheken mit variablen Zinssätzen und niedrigen anfänglichen »Lockvogel«-Zinsen ab. Als der Zeitpunkt der Zinsumstellung kam, machten die steigenden Zinsen
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