Diesseits Des Mondes
ließ, der unverbindliche Puppenmund ließen Krug schmerzlich an Birke denken. Ihm wurde bewusst, dass die Tänzerin, an die er immer wieder dachte, dass diese Frau seine inneren Dialoge mit Birke zumindest unterbrochen hatte. Durch mühsames Recherchieren hatte Krug herausgebracht, dass die Tänzerin unter einem Künstlernamen auftrat, dass ihr wirklicher Name Sharon war. Sharon Weil. Immer wieder versuchte Krug, sich mit diesem Mädchen auseinanderzusetzen. Waren ihre Augen nicht spöttisch gewesen, die Mundwinkel voll Ironie? Umstellt von Männern schien sie ganz in ihren Tanz versunken. War sie ohne Moral, unempfindlich für die Blicke? Derartige Fragen hatte Krug sich noch niemals in einem Nachtclub gestellt.
Krug schien es plötzlich, als seien die Männer inder Bar, auch er, Krug, nackt gewesen. Ihm war, als hätten sie alle um Sharon herumgetanzt, jeder Einzelne, und Sharon hätte mitleidig applaudiert im Nonnenkleid.
Geh zu, Michl, wo bist du denn in deinen Gedanken? Albert fragte es und Krug wusste, dass er keine Antwort erwartete. Krug spürte plötzlich, dass er müde war und zu viel Bier getrunken hatte. Als er vom Tisch aufstand und sich für die Nacht empfahl, sagte die Fotografin plötzlich: Du schreibst Hörspiele, nicht wahr?
Es tat Krug gut, dass die Fotografin ihn kannte.
Die alten Bauernbetten, die in Krugs Zimmer standen, schienen ihm heute wie Wogen im Ozean, weiß und schwebend. Krug ließ sich darin treiben, schläfrig hörte er, wie Albert und die Fotografin über den Hof gingen. Offensichtlich half Albert ihr, die Ausrüstung ins Haus zu tragen. Krug hörte, wie das Mädchen nach dem Telefon fragte.
Natürlich hat sie einen Kerl, was denn sonst, dachte Krug im Halbschlaf. Sie hatte bestimmt Spaß am Vögeln. Krug machte sich nie Gedanken darüber, ob und wie andere es miteinander trieben. Dazu war die Gewissheit in ihm zu stark, dass nur einer auf der Welt es richtig könne. Er. Krug. Doch hatte er allzu lange brachgelegen. So würde es jedenfalls Albert ausdrücken. Albert kannte schöne Ausdrücke fürs Liebemachen. Aufiroasn. Das hatte Birke ihm, Krug, verleidet. Sie hatte es zu etwas Unwichtigem gemacht, zumindest, was andere Frauen anging. Manchmal fürchtete Krug, dass er nur noch in eine Richtungschauen könne. In Richtung Birke. Neuerdings trug er sogar ein Foto von ihr bei sich, das jetzt neben ihm auf dem Nachttisch stand. Die Kinder waren auch darauf, als Ablenkungsmanöver.
Krug hörte Schritte auf dem Gang. Keineswegs leise kam Alissa über den Flur, klopfte und sagte hallo.
Deine family? Sie nahm das Foto von seinem Nachttisch.
Deine Frau arbeitet bei Cosmo, nicht? Krug nickte.
Kann ich bei dir schlafen? Mein Herr Freund geht nicht ans Telefon und ich weiß auch, warum, sagte Alissa.
Ihr quält euch wohl, wie? fragte Krug.
Darauf kannst du Gift nehmen, sagte Alissa, ohne die Stimme zu verändern, doch Krug sah, dass ihre Lippen bebten.
Krug kannte diesen Schmerz. Seine Panik, wenn er bei Birke anrief, immer wieder, manchmal bis drei Uhr in der Nacht. Wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten, wie sein Herz dröhnte bis in seine Ohren hinein. Noch heute konnte er die Abwesenheit Birkes von ihrer Wohnung nicht aushalten. Er machte den Schmerz für sich erträglicher, indem er niemals abends bei seiner Frau anrief. Krug wusste, dass Birke nicht zu ihm zurückkommen würde. Aber er glaubte es nicht.
Er spürte, dass Alissa ihn ansah. Sie lag lang ausgestreckt auf dem Bett, die Arme im Nacken verschränkt. Scheinbar unbeteiligt. Du, sagte sie plötzlich, könnten wir nicht miteinander schlafen?
Lass dir von einem alten Mann sagen, dass dasdeinen Herrn Freund auch nicht treuer machen wird, sagte Krug.
Alissa richtete sich auf und begann, Krugs Brustspitzen zu streicheln.
Aber mich macht es müder, sagte sie mit gewollter Frivolität, die ihr seltsamerweise etwas Kindliches gab, das Krug gefiel.
Findest du nicht, sagte er deshalb väterlicher, als es ihm zumute war, findest du nicht, dass das heutzutage ein gefährliches Schlafmittel ist?
Alissa hörte mit dem Streicheln auf und erklärte Krug, dass sie es ihm sogar schwarz auf weiß zeigen könne, dass sie nicht infiziert sei. Sie habe vor zwei Jahren nach einem Autounfall eine Transfusion gebraucht, und dieses Blut sei noch nicht geprüft gewesen. Darauf habe die Klinik sie vor vier Wochen angeschrieben und sie zum Aids-Test gebeten. Ganz lieb waren die mit mir, sagte Alissa, die haben mich behandelt
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