Diesseits Des Mondes
wie ein rohes Ei. Und ich muss dir sagen, die zehn Tage, bis ich das Ergebnis hatte, die waren nicht komisch.
Krug sagte, dass er sich das gut vorstellen könne.
Ja und du, fragte Alissa, treibst du es denn ohne Gummi? Krug verneinte etwas lahm. Er hatte im Kopf die Vorstellung, in einem Auto zu sitzen, bei dem die Bremse nicht ging. Krug träumte so etwas manchmal und er erinnerte sich jetzt genau an das Gefühl einer Befürchtung, die nicht unangenehm war. Krug hatte keine Lust auf Alissa, höchstens ein wenig Neugierde auf ihre braune Haut. Da Krug ohnehin nackt schlief, teilte Alissa ihm die Weichheit und Kühle ihrer Haut mit. Auch einen seltsamen Zimtduft. Als sie im selben Moment wie Krug spürte, dasssein Körper reagierte, warf sie sich auf ihr Bett zurück. Krug sah, dass sie auf dem flachen Körper große Brustspitzen hatte mit dunklem Hof, zwischen den schmalen Knabenschenkeln buschiges Schamhaar.
Komm, jetzt, machs, kommandierte Alissa heftig. Sie forderte, dass er ihre Brustspitzen rieb. Fester, viel fester, tausendmal fester. Sie befahl seiner Zunge, dann Händen und Zunge zugleich. Krug tat, was sie wollte. Er tat es wie ein Zuschauer, der vom Showmaster auf die Bühne gebeten wird.
Doch er roch auch den Zimtgeruch, das ganze Zimmer schien davon erfüllt, rosabrauner Zimt überall. Zimtnebel senkten sich auf Alissa, befeuchteten ihre Haut, den flachen Bauch, die Grube des Nabels. Sekundenlang wünschte sich Krug, Zärtlichkeit für Alissa zu empfinden, genug Zärtlichkeit, um ihre Kraft, ihre Wildheit, den kleinen festen Po zu preisen. Krug konnte seine Teilnahmslosigkeit kaum mehr ertragen. Zumal die Schreie Alissas ihn anfielen. Es wäre ihm lieber gewesen, schuldlos daran zu sein. Schon wegen Anna. Ja. Vor allem wegen Anna. Doch jetzt waren Alissas Schreie offenbar nicht mehr abzuschaffen, sie warf sich, sie schrie, dass er jetzt kommen solle, und Krug ließ einen anderen sich auf Alissa zu Tode reiten. Er selber war nicht dabei.
Als Krug gegen drei Uhr zum Pinkeln ins Bad ging, stand Albert vor dem Trichter. Über die Schulter fragte er Krug: Geh zu, Michl, hast du Widerhaken dran?
In seinem Bett rollte Krug sich zusammen. Ihn fror. Er hätte so gern ein zimtbraunes Liebesabenteuer gehabt. Aber mit Birke. War es das Alter, das ihmWünsche zurückbrachte, die ihm zwei Jahrzehnte lang lächerlich, romantisch, spießig und konventionell erschienen waren? Krug hatte seine Träume jahrelang vergessen geglaubt, er hatte sich sogar grinsend von ihnen verabschiedet. Und nun waren sie wieder da, wurden immer größer, drängender. Und Krug fühlte sich bereit, alle Umwege zu verleugnen, zurückzukehren zu den frühen Träumen. Doch Birke war von den Irrungen verletzt, sie blieb unversöhnt.
Jedenfalls redete Krug sich ein, dass er Birke wieder versöhnen könne. Wie ein Kind, das einen mühsam gebauten Turm aus Bauklötzen umwirft, um ihn wieder aufzubauen, wie ein Kind wollte Krug wieder von Birke geliebt werden. Seine Lieblingsformulierung: Es war schön, es war gut, nur wussten wir es nicht. Heile heile Segen, drei Tage Regen, drei Tage Schnee. Tut auch nicht mehr weh.
Krug wollte darangehen, die verlorene Welt wieder neu zu errichten. Überall wurde nach Zerstörung wieder aufgebaut. Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag, sagte Johann Wolfgang von Goethe, und Krug nahm die Verheißung als Verpflichtung gegenüber Birke. Er, Krug, musste ein anderer werden. Wieder mal ein anderer. Er war nicht gut genug. Nicht für Birke, nicht für neue Ufer. Die Tänzerin in der Bar, diese junge Frau war unangreifbar, sie hatte eine Haut aus Glas. Krug war seltsamerweise sicher, dass Sharon sich nicht bücken würde, um durch die Welt zu gehen. Er, Krug, fühlte sich zeit seines Lebens im Schwitzkasten, brutal niedergehalten von Großen, Lauten, Starken. Hatte das erst mit dem Elefanten angefangen?
2
Eine von Michael Krugs ersten Erinnerungen war das dunkelgrüne Licht der alten Eisenbahnunterführung, in der er jeden Tag auf seinem Weg anhielt. Die Treppen, auf denen er in den Tunnel hinunterstieg, waren steil für seine noch kurzen Beine. Michael musste den Henkelmann mit dem Essen für seine Mutter von sich weg halten. Er hatte es oft auf seine Kleider verschüttet und Schläge gekriegt. Das störte Michael wenig, denn seine Mutter schlug so ungeschickt, dass es ihr selbst am meisten wehtat. Sagte sie jedenfalls. In dem Friseurgeschäft der Mutter, vor den Frauen mit den Papilloten – und Michael
Weitere Kostenlose Bücher