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Diesseits Des Mondes

Diesseits Des Mondes

Titel: Diesseits Des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Asta Scheib
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sie war auch gemauert. Bei einem Bombenangriff hatte die Mutter Michael aus dem Schlaf gerissen und war mit ihm in den Keller gerannt. Sie hatte ihren langen Morgenrock an, und in der Hast trat sie in den Saum. Sie fiel mitsamt Michael die Kellertreppe runter. Michael glaubte, sich an den Fall zu erinnern. An die Angst vor den Bomben erinnerte er sich genau. Sie hatten das Krankenhaus in Schutt und Asche gelegt, obwohl ein weißes Kreuz unübersehbarauf das Dach gemalt war. Doch sie sagten, dass deutsche Flak die feindlichen Bomber vom Krankenhausdach aus beschossen habe. Michael ging anderntags mit der Mutter hin und sah die Bettfedern in den Bäumen. Alles war zerfetzt worden. Der Operationssaal, die Ärzte, die gerade operierten. Seine Mutter erlaubte ihm, dass er dem toten Soldaten am Schmittenloch die graue Decke vom Gesicht wegzog. Er hatte rote Haare, sein Ohr war seltsam abgeknickt am Gehsteig. Jetzt wusste Michael, was der Tod war.
    Mutters Verwandte, die in Köln-Lindenthal ein Juweliergeschäft hatten, waren evakuiert und zogen auch noch ins Haus ein, zu den Willers, den Gadows und den Reddens. Das Haus füllte sich mit Geschichten, Michael konnte gar nicht genug davon hören. Besonders, was die Flüchtlinge vom Treck erzählten, von der Angst, von Vergewaltigung, von Hunger, von Tod. Doch wenn sie von ihren Gütern in Ostpreußen und Pommern berichteten, verzogen die Einheimischen den Mund. Die lügen sich alle Reichtümer in die Tasche, dabei hatten viele nicht mal fließendes Wasser, die legen die Gurken in der Kloschüssel ein. Michael war das unwichtig. Ihn trieb es durch das Haus, jedes Zimmer voller Menschen, voller Schicksal.
    Von Hitler sprach niemand mehr, und wenn, dann erstarb das Gespräch in Gegenwart von Michaels Mutter. Michael hörte, dass Hitler ein Verbrecher gewesen sei, dass er schuld war am Krieg, an den Bomben, den Trümmern, dem Entsetzen. Schuld auch daran, dass Michaels Vater immer noch in Russland vermisst war. Michael spürte, dass seine Mutter scheel angesehen wurde, heimlich zwar, aber doch spürbar.Man gönnte es ihr offenbar, dass sie von der Entnazifizierungskammer bestraft wurde. Sie musste ihr Geschäft schließen für ihre Überzeugung. Sie war immer noch überzeugt. Als Michael sie fragte, ob Hitler ein Verbrecher gewesen sei, erzählte sie ihm von den Dreißigerjahren, von Börsenkrisen und Arbeitslosigkeit und Inflation. »Hitler hat Ordnung ins Chaos gebracht« sagte Michaels Mutter mit schmalen Lippen. »Hitler war kein teppichbeißender Schreihals, er hat die Wirtschaft wieder auf die Beine gebracht, er hat den Menschen wieder Mut gemacht. Auch den kleinen Leuten. Die waren bei ihm die Nummer eins. Aber das verstehst du noch nicht.« Diesen Satz, der unwiderruflich die Gespräche mit Mutter beendete, hörte Michael oft. Er fand seine Mutter ebenso inkompetent wie sie ihn. Er, Michael, hatte ohnehin seinen eigenen Hitler. Der schaute starr und grüßte streng, grüßend trieb er die Soldatenheere vor sich her an die Fronten. Wo waren jetzt all die Mütter, die ihn liebten, deren Kinder ihm Blumen schenkten? Wo waren all die Mutterkreuze? Seine, Michaels Mutter, hatte keines. Trotzdem war sie die Einzige im Ort, die entnazifiziert wurde. Mitläufer waren sie alle, sagte die Mutter verächtlich zu Michael, der sich daraufhin vorstellte, wie sie alle neben und hinter dem grüßenden, streng schauenden Hitler hergelaufen waren.
     
    Mit den Verwandten fuhren Michael und seine Mutter nach Köln, um das ausgebombte Haus der Tante zu suchen. Sie konnten es nicht finden. Überall Trümmer, keine Straßen, nur Steine, verkohlte Steine. Plötzlich rief die Tante: »Da simmer ja! Nein, du ahnst es nicht!« Die Tante deutete auf die Außenmauereines Hauses, die als Einzige stehen geblieben war. Und einsam, zwischen hellen Flecken, hing im Parterre Hitlers Bild an der efeutapezierten Wand. »Ausjerechnet dä«, sagte die Tante, »ausjerechnet dä is hängen jeblieben.« Mit einem Blick auf Michaels Mutter schwieg sie.
    Ansonsten schienen sich die aufregenden Jahre nach dem Krieg von Michael zu verabschieden. Die Flüchtlinge bauten sich eigene Häuser, die aus Köln Evakuierten sangen: Ich mööch zu Fooß no Kölle jon. Die meisten waren schon zurückgekehrt.
    Im großelterlichen Haus wohnten jetzt wieder nur Michael mit dem Großvater, Tante Flora und Mutter, die einen Bubikopf trug und nicht mehr hoffte, dass Michaels Vater zurückkäme. Sie wollte ihn sogar für tot

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