Diesseits Des Mondes
erklären lassen. Das empfand Michael als Absage an den Vater, und er wusste auch den Grund dafür. Er wollte es vor sich verschweigen, aber er wusste, dass er sich belog. Die anderen belog er ohnehin, er ließ sich seinen Verdacht nicht anmerken. Als seine Freunde davon anfingen, spuckte er sie an und verlangte, dass sie das zurücknähmen. Sein liebster, wenn auch waghalsigster Gedanke war, dass sich in seinem Leben nichts verändern würde. Doch seine Verstellung wankte bereits, als Manni, Hansi und Norbert ohne ihn eine Oster-Radtour machten. Der Postbote brachte für Michael nach dem Fest ein nässendes Päckchen, in dem drei ehemals wohl grüne, rote und gelbe Wackelpetereier waren, die jetzt formlos vor sich hin stanken. Micha, ich glaub, du kriegst ein Paket mit Scheiße, hatte Tante Flora kopfschüttelnd gesagt. Seit Michael in der Kreisstadt das Gymnasium besuchte, sah er seine Freunde nur noch selten. Dochdas hatte auch seine Gründe in den neuen Zeiten, die für die Familie Krug anbrachen, ohne dass Michael es hätte verhindern können.
Die Wachsamkeit, mit der Michaels Mutter den Großvater von Tante Flora fernzuhalten suchte, dies Spähende hatte nun auch Michael, wenn der Elefant zu Besuch kam. Er sah aus wie der belgische Außenminister Paul-Henri Spaak, war aber ein Fabrikant aus Thüringen. Die Kölner Zweigstelle seiner Fabrik war ausgebombt, und nun hatte er im Ort die Villa und die aufgelassenen Lagerhallen des Autohändlers Rosenthal gekauft. Das war erst zwei Jahre her, und der Elefant hatte nicht nur diesen Namen, sondern auch die Stellung eines Mächtigen im Ort. Zwölf Angestellte und dreißig Arbeiter verkauften und reparierten bei ihm Volkswagen, und es hieß, sein Geschäft in Köln werde auch wieder aufgebaut. Die Angestellten waren aber gehalten, darüber nicht zu reden. Der Elefant ist gerissen, hieß es. Der will nicht damit rausrücken, wie viel Geld er hat, damit er vor seinen Leuten jammern kann. Über die niedrige Gewinnspanne, über den Schaden bei den vielen Reklamationen. Der wird vom Schaden dick, spotteten die Leute im Winkel, dem beliebtesten Tanzlokal und Treffpunkt. Schon morgens war die Theke voll von Männern, die schnell ein Bier und einen Korn brauchten, um beim Wirtschaftswunder mitzuhalten. Es spotteten nur die Leute, die nicht beim Elefanten arbeiteten. Und der Spott schlug sofort um in devote Stille, wenn der Elefant in den Winkel kam. Das tat er am Anfang oft. Im offenen Kamelhaarmantel, die Hände in den Taschen seines Maßanzuges, alles vonSalzmann in Köln, den Hut aus dem Jagdgeschäft in der Hohe Straße, so kam der Elefant in den Winkel und bestellte Bier und Korn für alle.
Als er zum ersten Mal ins großväterliche Haus kam, hatte Michael das Gefühl, als käme tatsächlich ein Dickhäuter und träte mit seinen Stampfern alles kurz und klein. Der Elefant fasste fest an Michaels Wange und sagte, was alle blöden Leute sagen: Na, Junge, was macht die Schule? Aber andere blöde Leute packten einen nicht so fest an der Wange, dass es noch lange wehtat. Warum sagte seine Mutter nichts? Die sah wohl auch noch gerührt aus! Michael genierte sich für seine Mutter, weil sie auf das Werbetrompeten des Elefanten so komisch reagierte. Sie konnte, wenn der Elefant da war, vor Getue kaum anständig laufen, und wenn der Kerl weg war, küsste sie ihn, Michael, wie blöd. Das hatte sie früher, Gott sei Dank, nie gemacht.
Vor dem Haus stand sein jagdgrüner Mercedes, weiß bereift. Nicht mal der Doktor hatte so einen Wagen, und es hieß, in Köln habe der Elefant noch einen V 8, auch jagdgrün. Denn der Elefant war Jäger aus Passion, schon im ersten Jahr hatte er in Eckenhagen eine große Jagd gepachtet. Und auf Hirschjagd, so hieß es, fahre er jedes Jahr in die Steiermark. Der Elefant selber sprach nie über sich, er schien es interessanter zu finden, die Leute auszufragen. Von jedem wollte er wissen, wo er arbeite, und möglichst noch, was er verdiene. Das sagte ihm natürlich niemand, doch der Elefant nahm das nicht übel. Grinsend stopfte er noch ein Solei und noch ein kaltes Kotelett in sich hinein. Junge, konnte der was vertragen. Das gefiel den Leuten, wenn man vielleicht vom FeinkosthändlerBrühl absah. Ihm hatte man hinterbracht, dass der Elefant sich in den Kölner Feinkostläden eindeckte mit Spargel, Krabben, Kaviar und Räucherlachs. Es hieß sogar, er äße Schnecken und Austern. Die Leute schüttelten sich, doch heimlich bewunderten sie den
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