Diesseits Des Mondes
Frühe komme ich heim und leg mich auch hin. Vorher stell ich dem Pablo eine Flasche ins Bett, eine Flasche mit Kakao, den mag er gern. Dann lässt er mich länger schlafen.
Das Kind kletterte jetzt an einem Stuhl herum, immer wieder versuchte es, hochzukommen auf die Sitzfläche. Für einen Moment hielt es inne. Drückte kurz, so dass sein Kopf rot anlief, rot durch die hellen Haare schimmerte. Nach diesen Sekunden der Kraft und Konzentration, deren Resultat jetzt in den dicken Windeln ruhte, nach dieser Anstrengung vertiefte der Kleine sich wieder in seine Kletterübungen, die er nur unterbrach, wenn Hunde in Sicht kamen. Wuffwuff, machte er dann oder brmmbrmm, wenn die Autos von der Ampel losfuhren.
Du musst uns besuchen, hatte Christin gesagt, aber wirklich. Und Sharon hatte diese Einladung angenommen. Es war ihr, als kenne sie Christin und den Kleinen schon geraume Zeit.
An einem der nächsten Abende fand Sharon in ihrem Hotelzimmer wieder einen rosafarbenen Rosenstrauß. Eine Zeit lang, Sharon wusste nicht, wie lange, war dieser Friedrich, dessen Namen sie sich nicht merken konnte, nicht in München gewesen, oder zumindest nicht im Bereich der Gärtnerei, wo rosarote Rosen zu kugelförmiger Üppigkeit mit rosa Bändern, Perlen und grünen Farnen zusammengebunden wurden. Seit Sharons Bargeld immer rascherabnahm, stellte sie auch über den Preis dieser Gebinde Überlegungen an und darüber, dass dieser Friedrich über viel Geld verfügen musste. Und so nahm sie die Einladung zum Abendessen an, die auf einer beiliegenden Karte ausgesprochen war. Um halb acht wollte dieser Friedrich sie in der Hotelhalle erwarten. Dann aber schnell. Allein Haarewaschen dauerte bei Sharon mehr als eine Stunde. Danach waren die Haare nur an der Oberfläche trocken, doch das war an Sommerabenden nicht weiter schlimm. Die Luft trocknete das Haar sanfter als jeder Föhn, und Abel hatte Sharons feuchtes Haar geliebt.
Was sollte Sharon zu diesem eleganten Friedrich anziehen? Sie zog einen blauen Tulpenrock aus der Tüte, sie hatte ihn erst heute gekauft, dazu passten vielleicht die trägerlose schwarze Corsage und schwarze Pumps. In Tel Aviv hätte Sharon sich in diesem Aufzug nicht aus dem Haus getraut. Der Rock war äußerst blau und äußerst kurz, beim Gehen schob er sich noch höher, doch jetzt war Sharon schon im Lift und auch schon in der Halle, und Friedrich erhob sich aus einem Sessel, ja, er erhob sich, er war wirklich elegant. Sie sind ja noch schöner geworden, seit ich Sie das letzte Mal gesehen habe, sagte Friedrich ernst und küsste ihre Hand. Dann nahm er leicht Sharons Arm und führte sie durch die Halle. Sharon war fast ebenso groß wie Friedrich. Sie fühlte die Massen ihres Haares feucht auf den Schultern sich ringeln, sie fühlte die laue Luft an ihrer nackten Haut mit einer Freude, die ihr neu war. Dieser Mann neben ihr, das spürte sie, war einer, der Frauen, schöne junge Frauen, zur freien Auswahl hatte. Sie, Sharon, war nur ein Glied in einer langen Kette, sie wollte das auch sein,heute Abend wollte sie das sein. Nicht mehr, nicht weniger. Die Falten, die sich von der kräftigen Nase Friedrichs hinunterzogen zum Mund, diese Falten gaben dem Gesicht etwas Statuenhaftes. Das dunkle Haar war nicht nur an den Schläfen grau, eine breite graue Strähne zog sich auch von der Stirn bis ins Nackenhaar.
Friedrich führte Sharon jetzt zu einer Limousine, die vor dem Eingang wartete. Ein Chauffeur öffnete die hinteren Türen. Sharon verstand nicht allzu viel von Autos, aber sie hielt dieses graue Schiff für einen Bentley.
Ich hätte Sie schon vor Wochen einladen mögen, doch ich war sicher, eine Absage zu bekommen, sagte jetzt Friedrich leise und ohne besondere Betonung. Er hatte eine dunkle, ruhige Stimme, seine Sprache war kultiviert, selbstverständlich, fast sachlich, als er fragte: Sie kommen aus Israel, nicht wahr? Ich bin Deutscher, meine Mutter war Französin.
Friedrich hatte auf dem Rücksitz den größtmöglichen Abstand zwischen sich und Sharon gelassen. Trotzdem roch sie sein Parfum oder Rasierwasser oder was es sein mochte. Es roch auf diese Entfernung schon so intensiv, dass Sharon es in der Nähe nicht hätte ertragen können.
Der Bentley fuhr, nein rollte jetzt über den Odeonsplatz, fuhr ein Stück die Ludwigstraße hinunter, um dann rechts abzubiegen. Sharon bemühte sich, die Straßenschilder zu lesen, an Orientierung fehlte es ihr noch weit. Sie fuhren jetzt ein Stück Altstadtring, bogen dann
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