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Diesseits Des Mondes

Diesseits Des Mondes

Titel: Diesseits Des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Asta Scheib
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Sharon war beim Arbeitsamt gewesen, bei der Berufsberatung. Abitur und Wehrdienst, das ist keine Ausbildung. Dass Sie Kinder in Hebräisch unterrichtet haben, berechtigt Sie hier zu nichts.
    Friedrich nahm Sharons Hand. Sie spürte die warme trockene Handfläche, die kühlen Finger. Doch das Gefühl der Fremdheit überstieg langsam die Wirkung des Alkohols. Sharon fragte sich, was sie hier tue mit einem Mann, von dem sie lediglich wusste, dass er immens reich war. Reichtum war für Sharon ein Abstraktum, das ihr die Menschen, die damit verbunden waren, nicht näher brachte. Im Gegenteil. So wie sie, Sharon, sich die Welt oder das Leben reicher Leute vorstellte, wenn sie sich überhaupt Gedanken darüber machte, so schien es ihr nicht erstrebenswert. Natürlich wäre sie selbst gern reich oder wohlhabend gewesen, das war etwas anderes, aber der Reichtum anderer Menschen hatte sie immer kalt gelassen. Sie interessierte sich auch nicht für kommunistische Ideologien. Sharon hatte keinerlei Gefühl für Standesbewusstsein, gesellschaftliche Hierarchien, sie sah nur alle möglichen Formen von Existenz und wünschte sich eigentlich nicht eine einzige davon für sich selbst. Nur dass sie so rasch wie möglich Geld verdienen musste, das wusste Sharon. Und sie dachte an Christin, die sich jetzt darauf vorbereitete, für sich und Pablo die Existenzmöglichkeitzu schaffen, tanzend, nackt tanzend. Und Pablo konnte es sich nicht aussuchen, er wurde nicht gefragt, ob er eine Mutter wollte, die Stripperin war. Christin hatte keine Chance, ihn zu fragen, wenn er nicht seinen Tag in einer Krippe verbringen sollte.
    Ich möchte ins Number Six, sagte Sharon zu Friedrich. Er schaute Sharon einen Moment überrascht an, schob dem Barkeeper Geld über den Tresen und nahm Sharons Arm. Zum ersten Mal überlegte sie, was Friedrich wohl über sie dachte, welche Vorstellung von ihr in ihm lebte. Vielleicht war Friedrich nicht neugierig, vielleicht kannte er zu viele Menschen, war der Schicksale schon überdrüssig. Vielleicht wollte er auf anderen Wegen Sharon kennen lernen. Wenn er das überhaupt wollte. In ihrer wiedererwachten Nüchternheit zweifelte Sharon daran. Sie bezweifelte überhaupt die Situation, in der sie sich befand. Was tat sie hier an der Seite dieses Mannes, mit dem sie nur den allerkleinsten gemeinsamen Nenner hatte. Es gab nichts Verbindendes. Warum hielt sie seine Hand, warum legte er jetzt den Arm um ihre Schultern? Es gab keinen Grund, und Sharon wusste nicht, warum sie Friedrich Gefühle verwehrte, die er gar nicht von ihr gefordert hatte. Warum war sie zornig auf Friedrich? Denn Sharon wusste, dass sie zornig war, den Mann beneidete um seine Gelassenheit. Selbst wenn sie davon ausging, dass seine Sicherheit und Überlegenheit aus dem Reichtum kamen, in den er hineingeboren war, den ihm vermutlich niemand nehmen konnte. Wahrscheinlich hatte Friedrich immer gewusst, was das Morgen ihm bringen würde. Sharon wurde sich an der Hand Friedrichs darüber klar, dass sie sich nichts vom Morgen zu erhoffen hatte. Sehnte sie sich zurücknach Israel? Tel Aviv liegt nah am Tegernsee, schrieb Schalom Ben-Chorin. Für Sharon gab es jedoch nur die Wege ihrer Träume, die sie zurückführten, sie hatte in Tel Aviv nur das Gestern, die Toten, die ihr gehörten, und sonst nichts.
    Und München? Hier hatte sie ein Hotelzimmer, das sie bald nicht mehr bezahlen konnte. Hier hatte sie ein Phantom namens Abel, das sie seit Wochen immer wieder in die Leopoldstraße trieb. Hier hatte sie Friedrich und roséfarbene Rosen. Doch sie hatte auch Christin. Christin und Pablo. Waren sie ihr, Sharon, nicht ähnlich? Sharon mutmaßte, dass sie sich Christin und Pablo in diesen wenigen Wochen mehr genähert habe als vielen Menschen aus ihrem früheren Leben. Christin hatte es sich angewöhnt, Sharon mit Shalom zu begrüßen. Pablo sagte inzwischen Schlom. Der Kleine sprach viel für sein Alter. Er sagte heiß, wenn man ihn fütterte, und tautau, wenn man sich verabschiedete. Pablo war so blond und blauäugig, wie Sharon sich ein deutsches Kind vorgestellt hatte. Einmal, als Sharon nachts Pablo einhütete, war er erwacht, rief »Maamii«, das er bald auch auf Sharon übertrug. Sharon nahm ihn auf, wickelte ihn neu und trug ihn, der sich müde an sie drückte, in der Wohnung herum. Vor einem großen Spiegel blieb sie stehen, sah sich und das Kind, und sie wusste, dass sie Pablo beschützen wollte, dass sie sich für ihn vierteilen lassen würde. Sharon

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