Diesseits Des Mondes
wird es, wenn du zu Behörden musst oder zur Polizei, egal aus welchem Grund. Wenn die merken, dass du Stripperin bist, dann bist du unten durch, dann bist du das Letzte, der letzte Dreck. Die behandeln dich genau wie eine Prostituierte, die machen da keinen Unterschied.
Sharon wusste, sie bräuchte keine Perücke. Da war niemand in München, dem sie sich preisgeben würde. Sie wandte sich zu Dietl, fragte ihn, ob er ihr helfen könne, sie wolle als Tänzerin in der Bar arbeiten.
Soll des a Witz sein?, fragte Felngruber, der Sharons Frage gehört hatte. Dietl starrte fassungslos Sharon an, schaute dann zu Friedrich, der nur sein müde-ironischesLächeln zeigte. Doch Sharon erkundigte sich bei Dietl nach den Formalitäten, nach Arbeitserlaubnis und Versicherung. Vor allem musste er Felngruber weichklopfen, der, das spürte Sharon, keine Lust hatte, sie einzustellen.
Doch Sharon wusste, dass Dietl Felngruber keine andere Wahl lassen würde. Dietl war noch neugieriger auf Sharon geworden. Wer war das schöne Mädchen, das in der El Al First Class flog? Jetzt hatte er die Erklärung, Friedrich war die Erklärung für First Class und den Bayerischen Hof. Er, Dietl, hatte so was sofort vermutet. Mädchen, die First Class fliegen, haben entweder reiche Väter oder sind Edelprostituierte. Dieses Mädchen hier wollte noch mehr ausprobieren. Das schwarze Haar hing wie eine spanische Mantilla um ihre Schultern, sie war Carmen. Er, Dietl, hatte nicht aufgehört, an Sharon zu denken, seit er sie im Flugzeug gesehen hatte.
Als Sharon mit Friedrich das Number Six verließ, umgab die Nacht sie mit frischer lauer Luft. Sie wollen wirklich in dieser Bar tanzen?, fragte Friedrich. Und er setzte hinzu: Warum, glauben Sie, kann Ihnen das mehr geben als ein Leben mit mir? Betroffen sah Sharon Friedrich an. Sie hatte ihn fast schon vergessen.
Felngruber mochte Sharon nicht. Obwohl die Bar jede Nacht überfüllt war, seit Sharon tanzte, obwohl er persönlich Sharon als Star Nummer eins unter den Tänzerinnen ankündigte, glich sein schmallippiges Lächeln einer Beschimpfung für Sharon. Er verzieh es ihr nicht, dass Dietl von ihm verlangt hatte, sie einzustellen. Jedes der Mädchen wusste, dass Sharongegen seinen, Felngrubers, Willen in der Bar arbeitete. Doch er gab zu, dass Sharons Tanz die Bühne fast sprengte. Sharon hatte eine Woche mit Bill gearbeitet. Bill, der immer mit dem Rücken zur Bühne saß. Bill war Choreograf am nahen Theater, aber vor allem war er Gast im Number Six. Gast und Freund, er brauchte nicht zu zahlen. Dafür machte er aus Kassiererinnen, Krankenschwestern oder Friseusen Striptease-Tänzerinnen. Er fühlte sich für nichts verantwortlich, vermied es aber, das Ergebnis seiner Mitwirkung zu betrachten.
Bei Sharon war das anders, da sie regelmäßig Jazzdance-Training gemacht hatte. Darauf konnten beide etwas Brauchbares aufbauen, bei dem er, Bill, sogar ohne das Risiko eines Schreikrampfes zuschauen konnte.
Sharon hatte sich zu ihren Tänzen westindische Musik ausgesucht. Sie tanzte nur für sich allein. Von der ersten Sekunde ihres Auftritts an war sie mit ihrem Körper und mit der Musik allein. Im Tanz konnte sie sich nach den Straßen und Quartieren Tel Avivs sehnen, nach den Rekruten der Zahal, die ihr überall begegneten, nach Pablos Pizzeria und Mickeys Icecream auf der Dizengoffstraße, nach den grauen, weiß gekrönten Wellen des Meeres, das schmutzig war und ewig zugleich. Sharon sehnte sich nach dem Sandstrand. Richtung Jaffa hinter dem Meeresfelsen lag die Festung, bestrahlt die hellen Quader für die Fremden, doch immer noch labyrinthisches Versteck der Kindheit. Sharon tanzte sich die Sehnsüchte und unbestimmten Träume duftender Sommerabende in den Felsen des Negev, in den Salzkrusten des Toten Meeres, sie streichelte Schafe im Schatten der Eichen inHebron, sie sah die Weizenfelder, die Zedern und Zypressen des Jordantals, sie badete im grün beschatteten Wasser des Jordan, den die Israelis Yarden nannten, der Fluss, der hinabsteigt zum See Genezareth. Sie tanzte sich Dattelpalmen und Feigenbäume, glutrote Granatäpfel und grüne Trauben. Sharon holte Jerusalem zum Tanz, die Davidstadt, die in ihren Träumen stets golden in der Sonne lag, eine einzige Verheißung. Sie schrieb ihre Träume auf Papier und steckte sie in die Fugen der Tempelmauer. Im Tanz konnte Sharon sich die schönsten Erinnerungen wie eine Tarnkappe überstreifen, die sie für andere unerreichbar machte.
Sharon
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