Diesseits Des Mondes
zu Mittag gegessen und auf dem Viktualienmarkt eingekauft hatte, Sharon fühlte sich zu der mehr als zwanzig Jahre Älteren sofort hingezogen. Gemeinsam mit ihr fuhr sie am späten Nachmittag nach Nymphenburg. Hier, in einer ruhigen Straße, lag das Haus, die Wohnung im Dachgeschoss. Sharon war schon von der grünen Baumallee entzückt, von den alten Reihenhäusern, die zum Teil pittoresk aussahen, blumengeschmückte Fenster und Vorgärten hatten. Hier wollte sie wohnen, hier konnten Christin und Pablo am Wochenende bei ihr im Grünen sein, am Kanal die Enten füttern, im Park des Schlosses spazieren gehen. Sharon, Christin, Pablo. Warum Birke nicht mehr bei ihrem Mann wohnte? Sharon konnte sich an Michael Krug kaum noch erinnern. Er war offenbar verreist. Die beiden Damen, die noch mit im Haus lebten, die Mütter Krugs, schienen auch nicht im Haus zu sein. Birke zeigte jedenfalls Sharon nur ihr künftiges Refugium, und Sharon gefiel sogar die Einrichtung. Sie hätte ohnehin kein Geld für Möbel gehabt. Doch am meisten beeindruckt war Sharon von Birke.
Sharon war noch nie einer Frau wie Birke begegnet. Es war, als sei sie für einige Herzschläge lang die andere Hälfte von Sharon, untrennbar mit ihr vereint. Sharon kannte von Ruth und anderen Journalisten des
Ha’aretz
die Neugier, die Aufmerksamkeit, die Journalisten Menschen entgegenbringen, wenn sie für ihre Arbeit von Interesse sind. Doch hier, bei Birke, war das anders. Sharon spürte, dass sie ihr vertrauenkonnte. Birke war der erste Mensch gewesen, der in Zusammenhang mit Sharons Arbeit von Beruf gesprochen hatte. Wie sind Sie zu diesem Beruf gekommen?, hatte Birke gefragt. Stripteasetänzerin, Stripperin – ein Beruf? Doch Birke meinte das ernst, Sharon spürte, dass sie nicht wertete, nicht beurteilte, schon gar nicht verurteilte. Birke nahm Sharon ernst, sie sammelte ihr alles wieder ein, was Sharon verloren glaubte. Bei Birke, das wusste Sharon, waren alle Ängste und Zweifel, war alle Unsicherheit ihrer Existenz aufgehoben, die sie bei Christin niemals zeigen durfte, da Christins Sicherheit ebenso brüchig war wie die Sharons.
Birke wohnte in Bogenhausen, in der Lucile-Grahn-Straße. Sie hatte dort eine große Altbauwohnung übernommen von einer Kollegin, die nach London gezogen war. Schon auf der Treppe hörte Sharon
Purple Rain.
Dann ist Mauritz da, sagte Birke. Doch von ihm war nichts zu sehen, einzig
Prince and the revolution
quollen aus seinem Zimmer. Im Wohnraum, gelehnt an einen lebensgroßen Porzellanleoparden, saßen zwei Mädchen, die sich die Fingernägel goldfarben lackierten. Sie schauten kaum auf. Erst, als Birke und Sharon Spaghetti carbonara gekocht und den Tisch für alle gedeckt hatten, erst da kamen sie in die große Wohnküche. Mauritz, ein hoch aufgeschossener Junge mit kurz geschorenem Haar, kam auf Strümpfen und blieb auch während des Essens leise. Er hatte dunkle Augen mit auffallend dichten Wimpern, die seinem mageren Gesicht, dessen helle Haut fest über die Backenknochen gespannt schien, etwas Leidendes gaben. Das fand jedenfalls Sharon, die inMauritz’ Ausdruck viel von ihren eigenen Sehnsüchten wiederzufinden glaubte. Genau wie in Birke glaubte sie in Mauritz Teile von sich zu entdecken, zumal Mauritz seiner Mutter sehr ähnlich sah.
Danda dagegen, die jetzt ungeniert Sharon anstarrte und auszufragen begann, Danda glich mehr ihrem Vater, soweit Sharon sich das noch vorstellen konnte. Sie hatte auffallend graue Augen, die dem blassen Gesicht unter dem dunkelblonden Lockenhaar einen eher kühlen Ausdruck gaben. Nase und Mund waren kräftig, trotzig, die Bewegungen des Mädchens überaus graziös und dabei ungebärdig. Danda sprach schnell, wartete manchmal nicht auf die Antwort, gab sie selber, um neue Fragen zu stellen. Birke gegenüber war sie von einer Art nervösem Trotz, der Sharon betroffen machte. Danda konnte in einer Sekunde ihrer Mutter einen Pfeil hinschleudern: Darf ich vielleicht mal ausreden, ja? Könntest du nur einmal nicht an mir rummeckern, bitte? Nein, ich denke gar nicht daran, immer soll ich nach deiner Pfeife tanzen! Merkst du nicht, dass ich erwachsen bin, nein?
Im selben Moment, als Danda scharf und trotzig mit ihrer Mutter sprach, konnte sie dagegen Sharon anstrahlen, erwartungsvoll und offen.
Julie, Dandas Freundin, hatte ein hell geschminktes Gesicht unter einem Wust pechschwarz gefärbter Haare. Ein mit roten Steinen besetztes großes Kreuz hing in einem Ohr, um den Hals hatte sie
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