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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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eingingen, die sich im Sonnenschein auflösten oder bei Mondlicht in spöttischem Gelächter verklangen. Bäume und Wolken standen in klassischer Strenge gemeißelt; die aus der Landschaft aufsteigenden Klänge verschmolzen zu einer großen Monotonie, mit dem metallischen Klang einer Trompete, der Leblosigkeit einer griechischen Urne.
    Der Tag hatte Amory in eine so beschauliche Stimmung versetzt, dass er einige Autofahrer zur Weißglut brachte, die scharf abbremsen mussten, um ihn nicht zu überfahren. Er war so in Gedanken vertieft, dass ihn das erstaunliche Phänomen einer herzlichen Geste im Umkreis von fünfzig Meilen von Manhattan kaum überraschte – als nämlich ein vorbeifahrendes Auto neben ihm hielt und eine Stimme ihn anrief. Er sah auf und erblickte ein prächtiges Automobil, in dem zwei Herren mittleren Alters saßen, der eine klein [386] und ängstlich dreinblickend, offensichtlich ein künstlicher Ableger des anderen, der groß, glotzäugig und imposant war.
    »Wollen Sie mitfahren?«, fragte der offensichtlich künstliche Ableger und schielte dabei aus den Augenwinkeln zu dem imposanten Mann hinüber, als suche er die übliche, schweigende Bestätigung.
    »Und ob! Danke.«
    Der Chauffeur öffnete den Schlag, Amory stieg ein und machte es sich mitten auf dem Rücksitz bequem. Neugierig betrachtete er seine Begleiter. Die Hauptcharakteristik des großen Mannes schien ein enormes Selbstvertrauen zu sein, das im Gegensatz zu einer ungeheuren Gelangweiltheit über alles ihn Umgebende stand. Den Teil seines Gesichts, der sich unter den Glotzaugen vorwölbte, würde man üblicherweise »kraftvoll« nennen; durchaus würdige Speckfalten hatten sich um sein Kinn versammelt; irgendwo darüber befanden sich ein langgezogener, schmaler Mund und die rohe Ausführung einer römischen Nase, und darunter gingen seine Schultern kampflos in den mächtigen Brustkorb und Bauch über. Er war erstklassig, aber dezent gekleidet. Amory bemerkte, dass er dazu neigte, starr geradeaus auf den Hinterkopf des Chauffeurs zu blicken, als dächte er beständig, jedoch ohne Aussicht auf Erfolg, über ein verzwicktes, haariges Problem nach.
    Das einzig Bemerkenswerte an dem kleineren Mann war sein völliges Aufgehen in der Persönlichkeit des anderen. Er gehörte zu der Sorte von unbedeutenden Sekretären, die mit vierzig auf ihre Geschäftskarten »Assistent des Generaldirektors« drucken lassen und den Rest ihres Lebens ohne [387] einen Seufzer dem unnatürlichen Gehabe aus zweiter Hand widmen.
    »Weite Reise vor?«, fragte der kleinere Mann freundlich, aber desinteressiert.
    »Ein ziemliches Stück.«
    »Als Sportsfreund unterwegs?«
    »Nein«, erwiderte Amory knapp. »Ich laufe, weil ich kein Geld für die Fahrkarte habe.«
    »Oh.«
    Dann wieder: »Suchen Sie Arbeit? Es gibt nämlich jede Menge Arbeit«, fuhr er ziemlich mürrisch fort. »All dieses Gerede von zu wenig Arbeit. Im Westen sind sie besonders knapp dran mit Arbeitskräften.« Er deutete den Westen mit einer schwungvollen Geste zur Seite hin an. Amory nickte höflich.
    »Haben Sie ein Gewerbe?«
    Nein – Amory hatte kein Gewerbe.
    »Verkäufer, was?«
    Nein – Amory war kein Verkäufer.
    »Egal, wo Sie tätig sind«, sagte der kleine Mann und schien dabei tiefsinnig irgendeiner von Amorys Äußerungen zuzustimmen, »jetzt ist die richtige Zeit, um günstige Gelegenheiten zu nützen und ein Geschäft aufzumachen.« Er blickte wieder zu dem großen Mann hin, wie ein Anwalt, der einen Zeugen ins Kreuzverhör nimmt, unwillkürlich zur Jury schaut.
    Amory war klar, dass er irgendetwas sagen musste, doch ihm fiel beim besten Willen nur dies eine ein: »Natürlich möchte ich eine Menge Geld haben…«
    Der kleine Mann lachte pflichtschuldig, doch freudlos.
    [388] »Das will heutzutage jeder, aber keiner will dafür arbeiten.«
    »Ein sehr natürlicher, gesunder Wunsch. Die meisten normalen Menschen wollen ohne große Mühe reich werden – außer den Finanziers in Problemstücken, die ›sich ihren Weg erkämpfen wollen‹. Wollen Sie kein leichtverdientes Geld?«
    »Natürlich nicht«, sagte der Sekretär indigniert.
    »Da ich aber im Augenblick sehr arm bin«, fuhr Amory fort, ohne ihn zu beachten, »frage ich mich, ob mein Heil nicht im Sozialismus liegt.«
    Beide Männer starrten ihn neugierig an.
    »Die Bombenwerfer…« Der kleine Mann verstummte, als aus dem Brustkorb des großen Mannes gewichtige Worte heraufgerollt kamen.
    »Wenn ich Sie für einen von diesen

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