Diesseits vom Paradies
Paradoxien und belehrenden Epigramme eines anderen.
Das Leben war ein verdammter Wirrwar… ein Footballspiel, bei dem jeder im Abseits stand und der Schiedsrichter vom Platz gestellt worden war – und jeder vertrat die Überzeugung, der Schiedsrichter hätte ihm recht gegeben…
Der Fortschritt war ein Labyrinth… in das die Leute sich blind hineinstürzten, um wieder herauszustürmen und lauthals zu verkünden, dass sie es gefunden hätten – den unsichtbaren König – den élan vital – das Prinzip der Evolution… um ein Buch zu schreiben, einen Krieg zu beginnen, eine Schule zu gründen…
Auch wenn Amory kein selbstsüchtiger Mensch gewesen wäre, hätte er mit allen Fragen bei sich selbst begonnen. Er war sein eigenes bestes Beispiel, wie er da im Regen saß, ein menschliches Wesen mit Sex und Stolz, vom Schicksal und seinem eigenen Temperament um den Trost gebracht, den Liebe und Kinder geben können, das sich aufgespart [383] hatte, um bei der Schaffung des lebendigen Gewissens der Menschheit mitzuwirken.
Voll Selbstvorwurf und Einsamkeit und Ernüchterung kam er zum Eingang des Labyrinths.
Ein neuer Morgen dämmerte über dem Fluss; ein verspätetes Taxi raste die Straße entlang, dessen Scheinwerfer noch brannten wie die Augen in einem bleichen Gesicht nach einer durchzechten Nacht. Eine melancholische Sirene ertönte weit unten am Fluss.
Monsignore
Amory musste immer wieder daran denken, wie sehr Monsignore sein eigenes Begräbnis genossen hätte. Es war prachtvoll katholisch und liturgisch. Bischof O’Neill zelebrierte das feierliche Hochamt, und der Kardinal erteilte die letzte Absolution. Unter den Anwesenden befanden sich Thornton Hancock, Mrs. Lawrence, der britische und der italienische Botschafter, der päpstliche Nuntius und ein Schwarm von Freunden und Priestern – dennoch hatte die unerbittliche Schere all diese Fäden durchschnitten, die Monsignore mit seinen Händen zusammengehalten hatte. Es war für Amory ein fast unerträglicher Kummer, ihn dort in seinem Sarg liegen zu sehen, die Hände über dem purpurroten Messgewand gefaltet. Sein Gesicht war unverändert und zeigte weder Schmerz noch Furcht, als hätte er nicht gewusst, dass er sterben müsste. Es war Amorys lieber alter Freund, seiner und der der anderen – denn die Kirche war [384] voller Menschen mit einfältigen, starr blickenden Gesichtern, wobei die Verzücktesten zugleich die Betroffensten zu sein schienen.
Der Kardinal, wie ein Erzengel in Chormantel und Mitra, versprengte das Weihwasser; die Orgel erschallte; der Chor begann mit dem Requiem aeternam.
Alle diese Menschen trauerten, weil sie in gewissem Maße von Monsignore abhängig waren. Ihre Trauer war mehr als nur ein sentimentales Gefühl für »seine brüchige Stimme oder seine eigentümliche Art zu gehen«, wie Wells es ausdrückte. Diese Menschen hatten sich auf Monsignores Glauben gestützt, seine Art, tröstliche Ermutigung zu finden, die Religion zu einer Sache von Licht und Schatten zu machen und alles Licht und allen Schatten lediglich zu Aspekten von Gott werden zu lassen. Die Menschen fühlten sich sicher in seiner Nähe.
Aus Amorys versuchter Aufopferung war nur die Erkenntnis seiner Ernüchterung erwachsen, doch aus Monsignores Begräbnis erwuchs der romantische Elf, der gemeinsam mit ihm das Labyrinth betreten sollte. Er fand das, was er wollte, immer gewollt hatte und immer wollen würde – nicht bewundert zu werden, wie er gefürchtet hatte; nicht geliebt zu werden, wie er sich eingeredet hatte; sondern notwendig zu sein für die Menschheit, unentbehrlich; er erinnerte sich an das Gefühl von Sicherheit, das er bei Burne gefunden hatte.
Das Leben eröffnete ihm unvermittelt einen der überwältigenden Ausblicke auf seinen strahlenden Glanz, und Amory verwarf plötzlich und für immer ein altes Epigramm, das lustlos in seinen Gedanken herumgegeistert [385] war: »Nur wenige Dinge sind von Bedeutung, und nichts von wirklich großer Bedeutung.«
Ganz im Gegensatz dazu verspürte Amory ein unbändiges Verlangen, Menschen ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln.
Der große Mann mit den Glotzaugen
Als Amory seine Wanderung nach Princeton begann, wölbte sich der Himmel farblos und kühl hoch über ihm, ohne Androhung von Regen. Es war ein grauer Tag – das unsinnlichste aller Wetter; ein Tag der Träume, der fernen Hoffnungen und klaren Visionen. Es war ein Tag, an dem einem die abstrakten Wahrheiten und reinen Erkenntnisse leicht
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