Diesseits vom Paradies
bringen; jeder von ihnen hatte sich gebrüstet, alles Vorhergegangene in seine eigene schwache Verallgemeinerung einbezogen zu haben; jeder war trotz allem von den Gesetzen der Bühne und den Konventionen des Theaters abhängig gewesen – dass nämlich der Mensch in seinem Glaubenshunger seinen Geist mit der nächstliegenden und für ihn passendsten Nahrung speist.
Frauen – von denen er so viel erwartet hatte; deren Schönheit er in Kunstformen zu verwandeln gehofft hatte; deren unergründliche Instinkte, wundervoll unzusammenhängend und unausgesprochen, er in Begriffen der [380] Erfahrung zu verewigen gedacht hatte – hatten sich nun ihrer eigenen Nachkommenschaft hingegeben. Isabelle, Clara, Rosalind, Eleanor, sie alle wurden gerade durch ihre Schönheit, deretwegen die Männer sie umschwärmt hatten, der Möglichkeit beraubt, zu mehr beizutragen als zu einem gebrochenen Herzen und einem Blatt Papier, das mit wirren Worten vollgeschrieben ist.
Amory gründete den Verlust seines Glaubens an die Hilfe von anderen auf verschiedene großartige Schlussfolgerungen. Angenommen, seine Generation war, wenn auch durch diesen viktorianischen Krieg sehr angeschlagen und dezimiert, Erbe des Fortschritts. Wenn man diese lächerlich geringen Unterschiede bei Beschlüssen außer Acht ließ, die, mochten sie auch gelegentlich den Tod mehrerer Millionen junger Männer nach sich ziehen, doch wegerklärt werden konnten – in der Annahme also, dass letztlich Bernard Shaw und Bernhardi, Bonar Law und Bethmann-Hollweg alle miteinander Erben des Fortschritts waren, wenn auch nur in der gemeinsamen Front gegen die Jagd auf Hexen – unter Verzicht also auf die Antithesen stießen ihn doch bei dem Versuch, sich diesen Männern, die als die Führenden erschienen, individuell zu nähern, die Diskrepanzen und Widersprüche in ihnen selbst ab.
Da war zum Beispiel Thornton Hancock, in der Welt des Geistes als Autorität in Lebensfragen hochgeachtet, ein Mann, der den Moralkodex, nach dem er lebte, hieb- und stichfest überprüft hatte und an ihn glaubte – der Erzieher erzog, Präsidenten beriet –, dennoch wusste Amory, dass dieser Mann, tief in seinem Herzen, Zuflucht bei dem Priester einer anderen Religion gesucht hatte.
[381] Und Monsignore, auf den sich ein Kardinal stützte, hatte Augenblicke seltsamer und entsetzlicher Unsicherheit gekannt – unbegreiflich in einer Religion, die selbst den Unglauben mit Begriffen ihres eigenen Glaubens erklärte: Wenn man die Existenz des Teufels bezweifelte, war es der Teufel, der einen zweifeln ließ. Amory hatte erlebt, wie Monsignore dumpfe Spießbürger besuchte, wie er wie ein Verrückter Unterhaltungsromane las, wie er sich in die Routine rettete, nur um diesem Entsetzen zu entkommen.
Und dieser Priester, ein wenig weiser und etwas reiner, war, wie Amory wusste, nicht wesentlich älter gewesen als er.
Amory war allein – er war von einer schmalen Parzelle in ein großes Labyrinth entkommen. Er war dort, wo Goethe war, als er mit seinem Faust begann; er war dort, wo Conrad war, als er Almayers Wahn schrieb.
Amory sagte sich, dass es grundsätzlich zwei Arten von Menschen gäbe, die durch eine naturgegebene Klarsicht oder Ernüchterung die Parzelle verließen und nach dem Labyrinth suchten. Zum einen waren es Männer wie Wells und Platon, die, mehr oder weniger unbewusst, eine seltsame, verborgene Orthodoxie vertraten, die für sich selbst nur das guthießen, was für alle Menschen gutgeheißen werden konnte – unheilbar romantische Schwärmer, die trotz aller Bemühungen das Labyrinth niemals innerlich gefestigt betreten würden; zum anderen waren es kämpferische, bahnbrechende Persönlichkeiten wie Samuel Butler, Renan, Voltaire, die viel langsamer, letzten Endes jedoch viel weiter voranschritten, nicht auf dem direkten pessimistischen Weg der spekulativen Philosophie, sondern im ewig [382] währenden Versuch, dem Leben einen positiven Wert zu verleihen…
Amory hielt inne. Zum ersten Mal in seinem Leben spürte er ein starkes Misstrauen gegen alle Verallgemeinerungen und Epigramme. Sie waren zu einfach, zu gefährlich für die öffentliche Meinung. Dennoch erreichte fast jeder Gedanke nach dreißig Jahren die Öffentlichkeit in solcher Form: Benson und Chesterton hatten Huysmans und Newman populär gemacht. Shaw hatte Nietzsche, Ibsen und Schopenhauer mit einem Zuckerguss versehen. Der Mann auf der Straße erfuhr von den Schlussfolgerungen eines toten Genies durch die klugen
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