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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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waren, aus denen nur er unversehrt wieder herauskam.
    Normalerweise konnte er in solchen Nächten – und deren hatte es in letzter Zeit viele gegeben – dieser zerstörerischen Selbstbeobachtung entkommen, indem er an Kinder und die unendlichen Möglichkeiten der Kinder dachte – er merkte auf und horchte und hörte ein Baby in einem Haus jenseits der Straße erschreckt erwachen und ein leises Wimmern in die stille Nacht hinaussenden. Blitzschnell wandte er sich ab und fragte sich in einem Anflug von [377] Panik, ob etwas von der düsteren Verzweiflung, die auf ihm lastete, einen Schatten auf die winzige Seele des Babys geworfen habe. Ihn schauderte. Was, wenn eines Tages die andere Seite das Übergewicht bekam und er zu etwas wurde, das Kindern Angst einflößte und im Dunkeln in die Räume kroch, düstere Vereinigung mit jenen Phantomen einging, die den Verrückten ihre trüben Geheimnisse von jenem dunklen Kontinent auf dem Mond einflüsterten…
    Amory lächelte ein wenig.
    »Du bist viel zu sehr mit dir selbst beschäftigt«, hörte er jemanden sagen. Und wieder –
    »Fang an und arbeite was Ordentliches…«
    »Hör auf, dir Sorgen zu machen…«
    Er malte sich aus, wie er einmal beurteilt werden würde.
    »Ja – in meiner Jugend war ich wohl ein Egoist, aber ich fand bald heraus, dass es mich mürbe machte, zu viel über mich selbst nachzudenken.«
    Plötzlich spürte er ein überwältigendes Verlangen, sich vor die Hunde gehen zu lassen – nicht mit einem Schlag, wie es ein Gentleman tun sollte, sondern gefahrlos und in sinnlichem Genuss von der Bildfläche zu verschwinden. Er sah sich in einem Ziegelhaus in Mexiko, zurückgelehnt auf einer mit dicken Decken belegten Couch, seine schlanken Künstlerfinger umschlossen eine Zigarette, während er den Gitarren lauschte, die einen uralten kastilischen Trauergesang melancholisch begleiteten, und ein olivfarbenes Mädchen mit karmesinrotem Mund ihm zärtlich durchs Haar strich. Hier könnte er eine ganz andere Litanei durchleben, [378] befreit von Falsch und Richtig, vom Himmelsstreben und von jedem Gott (außer dem exotischen, mexikanischen Gott, der aber selbst recht zügellos war und süchtig nach orientalischen Düften) – befreit von Erfolg und Hoffnung und Armut, hinein in die lange Rutschbahn des Wohllebens, die schließlich und endlich nur in den künstlichen See des Todes mündete.
    Es gab so viele Orte, an denen man höchst angenehm vor die Hunde gehen konnte: Port Said, Shanghai, irgendwo in Turkestan, Konstantinopel, die Südsee – alles Länder mit trauriger Musik, die einen nicht mehr losließ, mit vielen Gerüchen, wo Lust eine Lebensform und Ausdruck des Lebens sein konnte, wo die nächtlichen Himmel und Sonnenuntergänge in ihren Schattierungen nur leidenschaftliche Stimmungen widerzuspiegeln schienen: die Farben von Lippen und Mohn.
    Noch immer beim Unkrautjäten
    Einst hatte er die wundersame Fähigkeit besessen, das Böse zu wittern, wie ein Pferd eine zerstörte Brücke selbst bei Nacht spürt, doch der Mann mit den unheimlichen Füßen in Phoebes Wohnzimmer war entschwunden, und übrig war die Aura, die Jill um sich hatte. Sein Instinkt nahm wohl den eklen Geruch der Armut wahr, verspürte jedoch nicht mehr die tiefersitzenden Übel in Stolz und Sinnlichkeit.
    Es gab keine weisen Männer mehr; es gab keine Helden mehr; Burne Holiday war entschwunden, als habe er nie [379] existiert; Monsignore war tot; Amory war zu tausend Büchern und tausend Lügen herangewachsen; er hatte begierig solchen Menschen zugehört, die zu wissen vorgaben und die nichts wussten. Die mystischen Traumvisionen von Heiligen, die ihn einst in dem stillen nächtlichen Haus mit Ehrfurcht erfüllt hatten, stießen ihn nun irgendwie ab. Die Byrons und Brookes, die von Berggipfeln herab dem Leben die Stirn geboten hatten, waren letzten Endes nur Flaneure und Poseure, die bestenfalls einen Anflug von Mut für der Weisheit letzten Schluss hielten. Das Schauspiel seiner Ernüchterung formte sich zu einer Prozession, so alt wie die Welt, von Propheten, Athenern, Märtyrern, Heiligen, Wissenschaftlern, Don Juans, Jesuiten, Puritanern, Fausts, Poeten, Pazifisten; wie kostümierte Ehemalige bei einem Collegetreffen strömten sie an ihm vorbei, der Reihe nach, wie ihre Träume, Persönlichkeiten und Überzeugungen Farbe und Licht in sein Leben gebracht hatten; jeder von ihnen hatte versucht, den Glanz des Lebens und die ungeheure Bedeutung des Menschen zum Ausdruck zu

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