Diesseits vom Paradies
unterbrach die Stille im Zimmer. Wie ein Blitzschlag kam der Wechsel. Amory saß kerzengerade, zu Eis erstarrt, im Sessel. Tom starrte ihn mit offenem Mund wie gebannt an.
»Gott steh uns bei!«, rief Amory.
»Um Himmels willen!«, schrie Tom. »Da – hinter dir!«
Blitzschnell drehte Amory sich um. Er sah nichts als die dunkle Fensterscheibe.
[178] »Jetzt ist es weg«, kam Toms Stimme nach einer Sekunde entsetzlicher Stille. »Etwas hat dich angesehen.«
Heftig zitternd fiel Amory in seinen Sessel zurück.
»Ich muss dir was erzählen«, sagte er. »Ich hatte ein höllisches Erlebnis. Ich glaube, ich hab – ich hab den Teufel gesehen oder so was Ähnliches. Was war das für ein Gesicht, das du gerade gesehen hast? – Nein, nein«, fügte er schnell hinzu, »sag’s mir lieber nicht!«
Und dann erzählte er Tom die ganze Geschichte. Es wurde darüber Mitternacht, und danach lasen sich zwei schläfrige, zitternde Jungen bei brennenden Lampen gegenseitig aus The New Machiavelli vor, bis die Dämmerung sich über der Witherspoon Hall erhob und der Princetonian gegen die Tür fiel und die Maivögel nach dem Regen der letzten Nacht die Sonne begrüßten.
[179] IV
Narziss außer Dienst
Während Princetons Übergangszeit, das heißt also während Amorys letzten zwei Jahren dort, in denen er sah, wie das College sich veränderte und den Horizont erweiterte und zu seiner gotischen Schauerschönheit aufblühte, wofür es geeignetere Mittel als nächtliche Paraden gab, trafen gewisse Personen ein, die es bis zu den Grundfesten erschütterten. Manche waren gleichzeitig mit Amory Freshmen gewesen, wildromantische Freshmen; andere waren eine Klasse unter ihm, und zu Beginn seines letzten Jahres saßen sie an kleinen runden Tischen im Nassau Inn und stellten laut die Institutionen in Frage, die Amory und zahllose andere vor ihm bisher nur insgeheim in Frage gestellt hatten. Zunächst, und eher unbeabsichtigt, entzündeten sie sich an gewissen Büchern, einer bestimmten Art biographischer Romane, die Amory »Gralsbücher« taufte. In den »Gralsbüchern« zieht der Held mit den besten Waffen gerüstet ins Leben und hat erklärtermaßen die Absicht, sie so zu gebrauchen, wie solche Waffen gemeinhin gebraucht werden – und damit so selbstsüchtig und blindwütig wie möglich ans Ziel zu kommen –, doch die Helden in den »Gralsbüchern« entdeckten, dass es würdigeren Gebrauch davon zu machen gab. None Other Gods, Sinister Street und The Research Magnificent waren solche Bücher; und das Letztere [180] der drei war es, das Burne Holiday fesselte und zu Beginn des Senior-Jahres in ihm die Frage aufkommen ließ, welchen Wert es für ihn hätte, in seinem Club an der Prospect Avenue den diplomatischen Autokraten zu spielen und sich im Ruhm einer ehrenvollen Position zu sonnen. Es war bezeichnend, dass Burne seinen Weg durch die Kanäle der Aristokratie fand. Durch Kerry hatte Amory eine lockere Bekanntschaft mit ihm gepflegt, aber erst im Januar des Senior-Jahres begann ihre Freundschaft.
»Das Neueste schon gehört?«, fragte Tom an einem neblig-feuchten Abend, als er spät nach Hause kam. Er hatte jenen triumphierenden Gesichtsausdruck, den er nach einem erfolgreich verlaufenen Gespräch immer zur Schau trug.
»Nein. Ist jemand rausgeflogen? Oder wieder ein Schiff versenkt?«
»Schlimmer. Ungefähr ein Drittel des Junior-Jahrgangs will aus den Clubs austreten.«
»Was?«
»Tatsache!«
»Wieso?«
»Reformgeist und so weiter. Burne Holiday steckt dahinter. Die Clubpräsidenten haben heute Abend Sitzung und wollen sich einen gemeinsamen Gegenschlag ausdenken.«
»Und was soll das Ganze?«
»Clubs schaden der Demokratie in Princeton, kosten eine Menge, errichten soziale Schranken, sind reine Zeitverschwendung – was man halt manchmal von enttäuschten Sophomores zu hören kriegt. Woodrow meinte, man sollte sie abschaffen und ich weiß nicht was.«
[181] »Aber jetzt ist es ernst?«
»Absolut. Ich denke, sie werden damit durchkommen.«
»Du meine Güte, erzähl mir mehr davon.«
»Also«, begann Tom, »wie es scheint, ist die Idee in mehreren Köpfen gleichzeitig entstanden. Ich hab vor einiger Zeit mit Burne gesprochen, und er behauptet, es sei eine logische Schlussfolgerung, sofern ein intelligenter Mensch lange genug über das Gesellschaftssystem nachdenkt. Sie haben einen ›Diskussionszirkel‹ gebildet, und irgendwer hat die Idee aufgebracht, die Clubs abzuschaffen – alle sind sie darauf angesprungen
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