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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Avenue!«
    [175] »Willst du damit sagen«, fragte Sloane stur, »dass du nie wieder auf den Broadway willst, bloß weil dir letzte Nacht irgendetwas nicht bekommen ist und du dich wie ein Verrückter aufgeführt hast?«
    Im selben Augenblick verschmolz Sloane in Amorys Augen mit der Menge und schien nicht länger Sloane mit dem liebenswerten Humor und dem glücklichen Naturell zu sein, sondern eines der bösen Gesichter, die in dem zähen Strom an ihm vorübertaumelten.
    »Mann!«, schrie er so laut, dass die Leute an der nächsten Ecke sich umsahen und sie mit den Augen verfolgten. »Das ist der Abschaum hier, und wenn du das nicht siehst, dann bist du’s eben auch!«
    »Von mir aus«, sagte Sloane verärgert. »Was ist eigentlich los mit dir? Hast du mal wieder Gewissensbisse? Dir würd’s entschieden bessergehen, wenn du bei unserer netten kleinen Gesellschaft geblieben wärst.«
    »Ich gehe, Fred«, sagte Amory langsam. Seine Knie wurden weich, und er wusste, wenn er noch eine Minute länger auf dieser Straße blieb, würde er auf der Stelle umkippen. »Ich bin dann zum Lunch im Vanderbilt.« Eilig machte er sich davon und bog in die Fifth Avenue ab. Wieder im Hotel, fühlte er sich besser, doch als er in den Barbiersalon ging in der Absicht, sich den Kopf massieren zu lassen, kam ihm mit dem Duft von Puder und Haarwasser wieder Axias schräges, einladendes Lächeln in den Sinn, und er machte schnellstens kehrt. Auf der Schwelle zu seinem Zimmer umflutete ihn eine plötzliche Finsternis wie ein geteilter Strom.
    Als er wieder zu sich kam, wusste er, dass mehrere [176] Stunden vergangen waren. Er ließ sich aufs Bett fallen und rollte sich aufs Gesicht, von tödlicher Angst befallen, er könne verrückt werden. Er wollte Menschen um sich, Menschen, jemand, der normal war und dumm und gut. Wie lange er so bewegungslos dagelegen hatte, konnte er später nicht sagen. Er spürte die kleinen heißen Adern auf seiner Stirn wild pochend hervortreten, und sein Entsetzen hatte sich auf ihm verhärtet wie eine Gipsschicht. Er merkte, dass er durch die dünne Kruste des Schreckens wieder auftauchte, und jetzt erst konnte er das schattige Zwielicht erkennen, das er verließ. Er musste wieder eingeschlafen sein, denn als er diesmal zu sich kam, hatte er bereits die Hotelrechnung bezahlt und stieg gerade in ein Taxi vor dem Eingang. Es goss in Strömen.
    Im Zug nach Princeton sah er keine bekannten Gesichter, nur eine Gruppe erschöpft dreinblickender Glaubensbrüder der Philadelphian Society. Der Anblick einer geschminkten Frau, die auf der anderen Seite des Ganges saß, erfüllte ihn erneut mit Übelkeit, so dass er in ein anderes Abteil wechselte und versuchte, sich auf einen Artikel in einem Unterhaltungsmagazin zu konzentrieren. Er ertappte sich dabei, dass er wieder und wieder dieselben Abschnitte las, und gab schließlich den Versuch auf, beugte sich müde vor und presste seine heiße Stirn gegen die angelaufene Fensterscheibe. Das Raucherabteil war stickig und roch muffig nach den Ausdünstungen fremder Leute; er öffnete ein Fenster und zitterte in der Nebelwolke, die von draußen hereintrieb. Die zweistündige Fahrt schien ihm tagelang zu dauern, und er hätte fast vor Freude aufgeschrien, als endlich die Türme von Princeton neben ihm aufragten und die [177] gelb erleuchteten Rechtecke durch den blauen Regenvorhang schimmerten.
    Tom stand mitten im Raum und zündete gerade gedankenverloren zum zweiten Mal einen Zigarrenstumpen an. Amory kam es vor, als sei er erleichtert, ihn zu sehen.
    »Hab höllisch schlecht von dir geträumt letzte Nacht«, kam die rauhe Stimme durch den Zigarrenrauch. »Ich hatte irgendwie die Vorstellung, du wärst in Schwierigkeiten.«
    »Lass mich damit in Ruhe!« Amory kreischte fast. »Sei bloß still; ich bin müde und total ausgelaugt.«
    Tom warf ihm einen schrägen Blick zu, ließ sich in einen Sessel fallen und öffnete sein Italienischheft. Amory warf Mantel und Hut achtlos auf den Boden, lockerte seinen Kragen und nahm wahllos einen Roman von Wells aus dem Regal. Wells tut gut, dachte er, und wenn nicht, dann lese ich Rupert Brooke.
    Eine halbe Stunde verging. Draußen kam Wind auf, und Amory zuckte zusammen, als die nassen Zweige sich bewegten und mit ihren Fingernägeln an der Fensterscheibe kratzten. Tom war tief in seine Arbeit versunken, und nur das gelegentliche Anreißen eines Streichholzes oder das Knarren von Leder, wenn einer der beiden sich in seinem Sessel bewegte,

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