Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)
schwer zu argumentieren, das weiß jeder, der Meerrettich schon mal gesehen hat. Die Pflanze sieht gut aus, hat genau die richtige Größe, riecht gut, schmeckt gut und ist in jedem Klima zu Hause. Vielleicht bestand der ursprüngliche Plan Gottes bei der Erschaffung der Erde bloß darin, eine Lebensgrundlage für Meerrettich zu schaffen. Sebastian legte jedenfalls ganz im Sinne dieses Planes eine Meerrettichplantage an.
Meine Mutter wollte auch unbedingt etwas pflanzen, am besten einen Baum, damit wir uns, wenn sie nicht mehr bei uns war, im Schatten dieses Baumes an sie erinnern konnten. Welchen Baum genau sie einpflanzen wollte, wusste sie nicht. Meine Mutter, ein Großstadtkind, kannte sich mit Bäumen nicht so genau aus. Am liebsten wünschte sie sich und uns einen, der schon beim Einpflanzen so groß wäre, dass wir gleich mit dem Erinnern anfangen könnten, am besten mit ihr zusammen unter dem Baum des Erinnerns sitzend. Im Obi-Gartenmarkt waren die höchsten Bäume Schneekirschen, die maximal eineinhalb Meter hoch waren. Ein solcher Baum würde einen lächerlichen Erinnerungsschatten werfen. In einem Spezialgeschäft bestellten wir für Mama eine Pinie, die sie höchstpersönlich in Empfang nahm. Dann bestimmte sie den Platz, wo sie eingepflanzt werden sollte.
Ich hatte in der Zwischenzeit im Gartenbedarfsmarkt sieben weitere Bäume gekauft, um nicht mit leeren Händen nach Hause zu kommen: zwei Kirschen, zwei Kriechweiden, zwei Rhododendronbüsche und eine Schmucktanne Araucaria araucana für den Fall, dass wir einmal Weihnachten und Silvester draußen im Freien verbringen wollen. Als großer Pflanzenfreund beobachte ich aufmerksam den deutschen Pflanzenmarkt, immer bereit, mich für neue Pflanzenarten zu begeistern. Zuletzt beeindruckte mich der Aronstab, nicht zuletzt seines Namens wegen. Vielleicht gab es diese Pflanze auch schon früher, aber plötzlich kam sie bei uns Pflanzenfreunden in Mode. Sie war hübsch und versprach mit ihrem biblischen Hintergrund ein sicheres Erblühen in meinem Garten. Aus dem Alten Testament wusste ich, Gott hatte ausgerechnet den Aronstab, als einzigen von vielen Stäben, blühen lassen, um Moses und seinem Bruder Aaron ihre Auserwähltheit und Autorität in der Sippe zu bestätigen. Diesen Stab wollte ich haben und kaufte in meiner Begeisterung etwas zu viele, nämlich zwölf Aronstäbe, in der Hoffnung, dass sie, wenn nicht gleich Mandelblüten, wie es die Bibel versprach, dann zumindest ein paar junge Blätter austreiben würden.
Beim Blumen-Vietnamesen habe ich Rabatt, weil sein Sohn der beste Freund meines Sohnes ist. Daher ließ er mich auch besonders robust aussehende Stäbe auswählen. Ich platzierte sie auf der Sonnenseite des Balkons, in fröhlicher Erwartung eines göttlichen Zeichens. Das Zeichen war dann unmissverständlich. Alle Stäbe gingen ein. Gleichzeitig kauften fast alle meine Nachbarn ebenfalls Aronstäbe, und auf jedem zweiten Balkon blühten sie auf, besser als im Alten Testament vorgesehen. Ich wollte nicht glauben, dass meine Nachbarn, die ganzen protestantischen Schwaben von nebenan, auserwählt sein sollten und ich nicht. Ich gab den Stäben eine zweite Chance, kaufte dieses Mal nicht beim Vietnamesen, sondern in dem Blumenfachgeschäft, in dem die Schwaben auch eingekauft hatten.
Doch alles war gegen mich. Mit sechs Stäben stand ich nun vor dem Fahrstuhl und wartete vergeblich darauf, dass er kam. Er kam nicht. Seit die Kinder aus unserem Haus in der Fahrstuhlkabine gelesen haben, dass Kinder unter zwölf Jahren die Kabine nur in Begleitung ihrer Eltern betreten dürfen, fahren sie pausenlos rauf und runter. Die meisten dieser Kinder sind gerade zwölf oder dreizehn geworden und wollen es der Welt beweisen. Sie steigen aus dem Fahrstuhl gar nicht mehr aus. Wenn es ihnen allein zu langweilig wird, nehmen sie ein paar jüngere Freunde mit. Für Eltern ist kein Platz mehr in diesem Fahrstuhl oder überhaupt in ihrem Leben. Ihre Freunde sind ihr wichtigster Lebensinhalt, nicht die Schule, nicht die Familie und nicht die Computerspiele. Freunde! Sie sind die einzig wahre Quelle des Wissens und der Inspiration. Nur das, was sie erzählen, stimmt. Und diese Freunde haben eine Menge zu erzählen. Meine Kinder haben ihren Freunden erzählt, es gäbe zwei Sorten von Rappern: die mit heruntergelassenen Hosen und die anderen, die ihre Hosen bis zur Kinnlade hochzogen. Erstere wären schwul, die anderen verklemmt. Freunde erzählen, dass Jimmy Hendrix
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