Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)
noch immer lebt und Leonard Cohen heißt oder wie man auf Facebook als Schüler getarnte Lehrer entlarvt und rausmobbt. Der Klassenlehrer meines Kindes, der die naive Idee hatte, als vietnamesisches Mädchen getarnt mit seinen Schülern auf Facebook Kontakt aufzunehmen und mehreren schrieb »Hey, wie geht es Dir, was hältst Du von Deinem Klassenlehrer?«, wurde sofort als falscher Freund geblockt und musste auf einer Klassenversammlung sein Benehmen erklären. Nur die richtigen Freunde zählen.
Ich denke mit Sehnsucht an die Zeiten zurück, als Kuscheltiere unsere besten Freunde waren, Haustiere wie Hamster und Katzen. Ich hätte meinen Kindern gern auch weiterhin ihre Freunde im Zooladen gekauft, ein paar nette kuschelige Freunde, die die ganze Zeit im Käfig saßen, spielten, fraßen und die Klappe hielten. Aber das ging nicht mehr. Wenn man schon im Fahrstuhl ohne Begleitung fahren darf, so darf man sich auch seine Freunde selbst auswählen, kleine freche Freunde, die sich nicht mehr aus dem Fahrstuhl des Lebens vertreiben lassen. Je erwachsener man wird, umso höher will man steigen, der Fahrstuhl geht nach oben, er fliegt wie eine Rakete und kratzt beinahe an den Wolken. Die Eltern müssen nicht mehr dabei sein. Voller Demut pflanzen diese nun Aaronstäbe auf dem Balkon, im Fahrstuhl ist vor lauter Freunden sowieso kein Platz mehr für sie.
Wohin der Flug geht, wird sich erst mit der Zeit herausstellen. Die Erfahrung der Menschheit besagt sowieso, dass sich jede richtige Richtung als falsch erweisen kann – oder als goldrichtig. Die Natur hält dafür Beispiele ohne Zahl parat. Das beste ist ein Waldbrand. Jeder weiß, wenn der Wald brennt, laufen Hirsche und Rehe vor den Flammen weg. Doch es gibt Dutzende, wenn nicht Hunderte flammophiler Lebewesen, vor allem Insekten, die es wie Ikarusse in die entgegengesetzte Richtung, ins Feuer zieht. Denn ein Waldbrand bedeutet für sie Nahrung, Wärme und die Möglichkeit schneller unkomplizierter Fortpflanzung. Der Morgen danach, der Tod durch Verbrennen wird bei diesen Arten als ferne Zukunft abgetan. Man lebt schließlich im Hier und Jetzt und muss irgendwie vorankommen. Im Voraus planen sie nicht.
Die Kinder im Fahrstuhl auch nicht. Sie wissen mit Sicherheit, dass der Fahrstuhl auf irgendeinem Stockwerk stehen bleibt, vielleicht auf dem Dach. Sie steigen aus, unten blühen die Stäbe, oben scheint die Sonne, und das wahre Leben beginnt.
Im Haus des Gastes
Das Wetter in Glücklitz entzieht sich allen Voraussagen und trotzt allen Prognosen. Es überrascht einen ständig und ist so unwägbar wie das Wetter im Bermuda-Dreieck. Es ändert sich beinahe stündlich. Während es in Berlin und ganz Brandenburg regnet, scheint hier die Sonne, und wenn ganz Deutschland sich sonnt, schüttet es in Glücklitz wie aus Eimern, und riesige Schnecken ohne Häuser schleimen sich durchs Gras. Im Sommer ist es hier oft zu heiß, im Winter zu frostig. Trotzdem werden die Glücklitzer nie krank, und wir haben bisher noch nicht einmal einen Erkälteten im Dorf gesehen.
Ende Juni bekam jedoch ganz Deutschland hohes Fieber. Tausende, ja Millionen armer Menschen, Ausgebeuteter, Rentner, Studenten, Arbeitsloser und Obdachloser schauten mit großem Interesse zu, wie elf junge, fitte Millionäre für sie auf dem grünen Rasen Ball spielten. Je höher die deutsche Mannschaft in der Europameisterschaft aufstieg, umso heißer wurde es in Glücklitz. Als die Deutschen ins Halbfinale kamen, verordnete ich mir selbst und der ganzen Familie hitzefrei. Alle anstrengenden Arbeiten außer Fußball gucken wurden untersagt. In Glücklitz gab es keinen öffentlichen Ort, wo man die Spiele auf großer Leinwand verfolgen konnte. Deswegen pilgerten die meisten Glücklitzer nach Seebeck, ein Ort, der einen Kilometer entfernt lag, um dort im »Haus des Gastes« den Untergang der deutschen Mannschaft gegen die Italiener zu verfolgen.
Wir gingen mit allen zusammen auf dem sogenannten »Weg des Leidens« nach Seebeck. Dieser »Weg des Leidens« ist eine lange Strecke, die sich wahrscheinlich durch ganz Nordbrandenburg zieht. Sie ist an mehreren Orten ausgeschildert und mit Erinnerungstafeln und Erklärungen versehen. Viele tausend Opfer des Nationalsozialismus starben hier an Hunger und Erschöpfung. Heute ist dieser Weg denkmalgeschützt und an manchen Stellen verbreitert worden, damit Schüler und Studenten auf Fahrrädern die Geschichte ihres Landes aus erster Hand lernen können. Schüler und Studenten
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