Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)
Besonderen. Ich schwieg mich diplomatisch aus, denn auf Russisch gibt es gar keine Versöhnung. Viele deutsche Wörter existieren im Russischen einfach nicht, solche wie »Einverständniserklärung« oder »Wiedergutmachung«. Die Russen zweifeln daran, dass man etwas Schlechtes wiedergutmachen kann.
Und Dresden, eine wunderschöne Stadt, wird in Russland hauptsächlich als Putins Nest wahrgenommen. Er war dort lange als Spion tätig gewesen und hatte sich vieles von den Sachsen abgeguckt. Wenn irgendwelche Fotos von den prächtigen Schlössern des Präsidenten in die russische Presse gelangen, Schlösser, die er angeblich irgendwo auf der Krim für sich bauen ließ, mit gemütlichen Schlafzimmern in Rosa und Pastell, mit dunklen Esszimmern und schweren Nussbaumholztischen, dann schreiben die russischen Journalisten abwertend: »typisch Dresden der Siebzigerjahre, mehr Schein als Sein.« Das schreiben sie wahrscheinlich, um dem Präsidenten wehzutun. Heute ist Dresden allerdings eine sehr schöne Stadt, fast die schönste Deutschlands, obwohl der Goldene Reiter doch zu goldig, protzig, beinahe russisch glänzt.
Im Museum standen schon vor Beginn der Veranstaltung tausend Tänzer bereit, noch mehr warteten draußen vor den Türen in der Hoffnung, vielleicht später durch die Kontrolle zu kommen. Gemäß den strengen Auflagen der Feuerwehr durfte nur eine bestimmte Anzahl von Personen gleichzeitig im Hygiene-Museum tanzen, damit im Fall eines Brandes die Fluchtwege nicht versperrt waren. Auch solche Wörter wie Flucht- oder Rettungswege gibt es im Russischen nicht. Für Russen ist das bloß Platzverschwendung, sie glauben nicht, dass irgendein extra freigehaltener Weg sie retten könnte. In Deutschland dagegen sind Rettungswege sehr wichtig. Nichts unternehmen die Deutschen, ohne zuerst die Fluchtwege zu bestimmen, wobei sie den ausländischen Flüchtlingen gleichzeitig gerne ihre Fluchtwege abschneiden und sie abschieben.
Hitze hatte die Stadt erobert, aber das Hygiene-Museum besaß keine Lüftung, und es roch mit jeder Minute unhygienischer. Das Foyer war denkbar schlecht als Diskofläche geeignet, die Technik zu instabil, das Licht zu hell.
»Haben Sie vielleicht eine Diskokugel?«, fragte ich den Haustechniker naiv.
»Das nicht, aber ich kann es dunkler machen«, sagte er und schaltete kurzerhand das Licht aus.
Ein Aufschrei der Erleichterung stieg zum hohen Dach des Museums empor. Sofort sprangen die ersten Tänzer auf, andere fassten ihre Damen an der Taille und drehten sich im Kreis, obwohl ich noch gar keine Musik gemacht hatte. Ich war erst einmal mit dem Auftreiben von alkoholischen Getränken beschäftigt. Im Foyer war nichts zu holen. Es gab zwar eine Bar, jedoch nur draußen, außerhalb des Museums. Aus Sicherheitsgründen durfte man drinnen weder rauchen noch trinken. Doch die christliche Jugend hatte keinen Bedarf an Drogen, sie brauchte weder Tabak noch Alkohol, nicht einmal Musik, um lustig zu sein und loszutanzen. Es war der Glaube in ihren Herzen, so schlussfolgerte ich, der Glaube, der sie antrieb. Eine seltene Gabe. Gesegnet sei der, der sie hat.
Viele der Tanzenden trugen die gleichen dunkelgrünen Hemden. Auch die Jugendlichen, die für die Kontrolle an den Türen und für Ordnung und Sauberkeit im Museum sorgten, hatten eine solche Uniform an. Es seien Pfadfinder, erklärte mir der Veranstalter. Sie würden in einem riesigen Zelt außerhalb der Stadt wohnen und hätten eigentlich den ganzen Kirchentag organisiert. Es war sehr laut im Museum, der wilde ukrainische Rock ’n’ Roll dröhnte aus den Lautsprechern, außerdem kannte ich das Wort »Pfadfinder« nicht, Pfadfinder gibt es wahrscheinlich nicht auf Russisch, deswegen verstand ich »Pfandfinder« und nickte verständnisvoll.
»Auch bei uns in Berlin sind regelmäßig viele Pfandfinder unterwegs«, erzählte ich dem Gastgeber. »Sehr nette Menschen, wie hier, Alt und Jung. Sie suchen nach leeren Flaschen und halten die Stadt sauber. Allerdings haben sie nicht so schöne Uniformen wie hier in Dresden.«
Nun schaute mich mein Veranstalter irritiert an.
»Die Pfandfinder sind doch Menschen, die leere Flaschen sammeln, um das Pfand zu kassieren«, präzisierte ich.
»Und Pfadfinder sind die Menschen, die nach dem richtigen Pfad suchen. Sehen Sie den Unterschied?«, entgegnete er.
»Wohin soll der richtige Pfad denn führen?«
»Wohin wohl, zu Gott«, hob mein Gastgeber die Schultern und ging.
Mir war es peinlich, dass ich so
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