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Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Titel: Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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Bis zur endgültigen Klärung dieser Fragen bleiben die Russen grimmig und besorgt.

Die Nachsicht der brandenburgischen Barsche
    Ich habe herumtelefoniert und herausgefunden, dass der für Angelscheine zuständige Fischer vom Glücklitzer See Hartmut mit Vornamen heißt. »Ohne Angelschein kannst du es vergessen, hier zu angeln«, meinte Hartmut. »Keine Chance.«
    Wahrscheinlich handelte es sich hier um speziell ausgebildete Fische, die sofort merkten, ob der Angler einen Schein hatte oder nicht. Und von einem Scheinlosen ließen sich die Brandenburger Barsche nicht fangen. Die Angelscheine von Hartmut waren nicht billig: 120 Euro kostet einer für ein ganzes Jahr, fünf Euro pro Tag, dreißig Euro für eine Woche. Auf meine Hamlet-Frage, ob es überhaupt irgendwelche Fische im Glücklitzer See gäbe, antwortete Hartmut ausweichend, eigentlich schon, aber letzten Endes komme es auf die intellektuellen Fähigkeiten jedes einzelnen Anglers an. Das müsse schon jeder mit sich selbst und den Fischen klären, ob es sie gäbe, meinte Hartmut und murmelte dazu Unverständliches auf Brandenburgisch.
    Wenn ich ihn richtig verstanden habe, zweifelte er an meinen Fähigkeiten, den ortsansässigen Barsch aus dem Wasser zu ziehen. Seine Zweifel waren möglicherweise berechtigt. Ich war neu hier, während die Barsche schon eine lange Geschichte hinter sich hatten. Um die Hamlet-Frage zu klären, brauchte ich allerdings einen Angelschein. Ich überlegte und quälte mich wie der dänische Prinz. Einen Angelschein nur für einen Tag zu kaufen schien mir pure Geldverschwendung. Ein Tag ist zu kurz, um mit den Fischen in Kontakt zu kommen. Man musste doch etliches vorbereiten, die Schlafplätze der Barsche unter Wasser erkunden, sie an diesen Stellen füttern, ein wenig mit ihnen spielen. Einen Angelschein für ein Jahr zu kaufen fand ich allerdings übertrieben, denn es war nicht auszuschließen, dass die Fische in diesem speziellen Fall doch klüger waren als der Angler und sich nicht aus dem Wasser ziehen ließen.
    Ich kannte bis dahin nur die Zierbarsche im Aquarium meines Freundes Alexander. Sie waren die Bestien unter den Fischen, gefährlich, ungeheuerlich intelligent und anpassungsfähig. Allerdings kamen diese Barsche aus Afrika, nicht aus Brandenburg. Die afrikanischen Malawi-Barsche hatten eine leidvolle Vergangenheit und waren verdiente Helden der Evolution. Der See, in dem sie lebten, war infolge großer Hitze mehrmals ausgetrocknet, das letzte Mal vor 14 000 Jahren. So mussten die afrikanischen Barsche schnell eine Lösung zum Überleben finden. Innerhalb kürzester Zeit wuchsen ihnen Beinchen, sie wurden zu halben Reptilien und konnten die erdrückende Hitze tief im Sand der Wüste vergraben überstehen.
    Später evolutionierten sie sich weiter zu Säugetieren, kletterten auf Bäume und suchten nach besserer Nahrung, wurden zu afrikanischen Eichhörnchen und beliebten Haustieren in afrikanischen Haushalten. Sie überlegten, zu Vögeln zu werden und weit weg aus Malawi zu fliegen. Doch das Wasser zog sie an, denn sie hatten ihr Leben als Fische trotz allem in guter Erinnerung behalten. Und kaum füllte sich der See wieder mit Wasser, verwandelten sie sich wieder in Barsche zurück.
    Noch später, als sich infolge eines politischen Kollapses die ökologische Situation im Malawisee drastisch verschlechterte, beschlossen die Barsche, nach Europa auszuwandern. Zu diesem Zweck mussten sie ihre Farbe und Körpergröße den Anforderungen europäischer Aquarianer anpassen. Aus großen dunkelgrauen Fischen wurden kleine niedliche Aquariumsfischlein mit niedlichen Gesichtern und bunten Flossen, allesfressend, freundlich und zahm. Nach kurzer Zeit füllten sie die unzähligen Aquarien der Europäer. Besonders populär wurden sie, als man erkannte, dass die Barsche ihre Besitzer von der restlichen Menschheit unterscheiden konnten. Eine Fähigkeit, die aus der Zeit stammte, als sie noch Eichhörnchen waren.
    Mein Freund Alexander, der zuerst in seinem Aquarium mehrere kleine Welse und Feuerschwänze angesiedelt hatte, hatte seinen ersten Barsch zufällig, gewissermaßen gegen seinen Willen bekommen. Nämlich von einer Freundin, die sich gerade von ihrem langjährigen Lebenspartner getrennt hatte. Der Lebenspartner wollte ein neues Leben in einer neuen Stadt beginnen. Nichts aus seinem alten Leben wollte er in das neue mitschleppen. Er hinterließ großzügig alles, was er besaß, seiner Exfreundin: seine Socken, seine Schulden und

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