Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)
KZ Sachsenhausen statt. Tausende Gefangene marschierten an Glücklitz vorbei, die meisten in den Tod. Dann kamen die Russen. Sie nahmen den Nazi-Bürgermeister mit und erschossen einen jungen Soldaten, der nicht gewusst hatte, dass der Krieg vorbei war, und ihnen in voller Montur aus dem Wald entgegengesprungen war.
Nach dem Krieg wurde Glücklitz sozialistisch, und man gründete die LPG »Drei Freie Bauern«. Die Jahre in der sozialistischen DDR waren laut dieser Chronik für die Glücklitzer die glücklichsten Jahre ihrer Geschichte. Mehrmals gewannen sie im landesweiten Wettbewerb »Schöner unsere Städte und Gemeinden« erste Preise für ihre gepflegten Vorgärten und Grundstücke. Am 28. 11. 1959 wurde der Anglerverein »Der rote Zander« gegründet, und fortan verbrachten viele Glücklitzer gemeinsame Angelstunden am See. Sie versuchten auch an derselben Stelle ihr Glück, an der die drei versteinerten Skelette etwa 10 . 000 Jahre zuvor auf ihren Zander gewartet hatten. Und genau wie ihre Kollegen damals haben auch sie keinen einzigen gefangen.
Die sozialistische Landwirtschaft war bei Weitem nicht so effektiv oder, wie man heute sagen würde, »wettbewerbsfähig« wie die Landwirtschaft drüben im Westen. Dafür gab es aber auch weniger Verführungen. Man wusste genau, was ging und was nicht. Es war für die Glücklitzer einfacher, im Sozialismus glücklich zu werden. Alle hatten zu tun, aber keiner zu viel.
Dann kippte der Sozialismus, und sofort geriet das ganze Leben durcheinander. Der letzte Sekretär der DDR , Erich Honecker, suchte in der Glücklitzer Kirche Asyl. Die Kirche war aber wie fast immer geschlossen, und an der Tür hing ein Zettel: »Schlüssel bei Mathias«. Der Zettel hing seit ewigen Zeiten, für den Fall, dass Gott vorbeikam, nicht aber der Generalsekretär. Honecker versuchte sein Glück im »Haus des Gastes«, das machte aber nur freitags um 20.00 Uhr auf. Es war jedoch ein Donnerstag. Honecker wollte nicht warten und zog weiter ins nächste Dorf, wo es eine größere Kirche gab. Dort fand er Asyl, aber nicht für lange. Nach ein paar Wochen bat der dortige Pfarrer, wahrscheinlich auf direkte Anweisung von Gott, Honecker, die Kirche zu verlassen. Angeblich konnte er nicht länger für dessen Sicherheit garantieren. Es kamen nämlich ständig Menschen vorbei, die einen Hass auf Honecker hatten. Der Generalsekretär verließ daher schließlich auch dieses Asyl. Danach fand er nirgends mehr Unterschlupf und starb wenig später in Chile. Voreiligkeit lohnt sich selten im Leben. Hätte er damals vor dem »Haus des Gastes« bis Freitag um 20.00 Uhr gewartet, wären seine letzten Jahre möglicherweise glücklicher gewesen.
Die neuen kapitalistischen Sitten machten den Glücklitzern schwer zu schaffen. Alte Immobilienverhältnisse mussten neu geordnet werden, aber niemand wusste mehr, was wem gehörte und warum. Die alte Ziegelei gegenüber von meinem Haus auf der anderen Seite des Flusses, die unter Hitler jüdischen Besitzern weggenommen worden war, sollte nun rückübertragen werden. Mein Nachbar Heiner, damals ein erfolgreicher junger Anwalt, wurde von der Treuhand mit dieser Angelegenheit beauftragt. Er suchte und fand die Nachkommen der ehemaligen Besitzer und beglückwünschte sie persönlich in Lateinamerika. Für die Brasilianer kam die Nachricht, dass sie glückliche Besitzer der alten Ziegelei in Brandenburg waren, überraschend. Sie freuten sich natürlich, wussten aber überhaupt nichts damit anzufangen. »Wie ist die Nachfrage nach Ziegelsteinen in Deutschland?«, wollten sie von Heiner wissen. In Brasilien sei sie gleich null. Heiner beruhigte die Erben, sie sollten sich über den deutschen Ziegelmarkt keine Gedanken machen, denn er kenne jemanden, der diese Ziegelei liebend gern kaufen würde und das zu einem fairen Preis. Die Brasilianer begrüßten diese unkomplizierte Lösung. Auf einen Schlag hatten sie ein gutes Geschäft gemacht und waren die Ziegelei los.
Dieser Jemand, der die Ziegelei kaufen wollte, war Heiner selbst. Obwohl als Anwalt erfolgreich, hatte er die Seele eines Gärtners. Ihn hatte es schon seit Langem in die Natur gezogen, wo er mit eigenen Händen Schönes mit Nützlichem verbinden wollte: einen Garten anlegen, die untergegangene Ziegelei historisch genau wiederaufbauen, Blumen gießen und Bäume pflanzen. Heiner nahm einen Kredit auf und erwarb die Ziegelei. Die alten Besitzer hatten ihre Steine auf dem Wasserweg durch den Glücklitzer See in die
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