Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)
hereingelassen. Mein Großonkel Wanja, der Bruder meines Großvaters, träumte in seiner kleinen ukrainischen Stadt davon, einmal nach Moskau zu reisen. Während des Krieges, als die deutschen Truppen vor Moskau standen, meldete er sich freiwillig zur Armee, durfte Moskau beschützen, grub eine Grube, damit die deutschen Panzer nicht durchbrechen konnten, und fiel dann dummerweise selbst so unglücklich hinein, dass er sich das Bein brach. Diese Verletzung hat ihm möglicherweise das Leben gerettet. Im Krankenhaus schrieb er das Gedicht »Mein Moskau«, das später offiziell zur Hymne der Hauptstadt wurde und meinen Onkel über Nacht zu einem berühmten Dichter machte.
Ich bin viel auf der Welt herumgekommen,
Lebte im Wald, in einer Hütte aus Holz,
Fühlte mich wie lebendig begraben,
Doch war immer auf Moskau stolz.
Und egal wo ich noch landen werde,
Wie mein Schicksal wendet das Blatt,
Ich weiß nichts Besseres auf Erden
Als meine goldene Hauptstadt.
Das Blatt seines Schicksals wendete sich zum Guten, und er bekam nach dem Krieg eine Wohnung im Moskauer »Haus der Dichter«, schrieb das humoristische Poem »Lenin trifft auf die Kosmonauten« und lieh später meiner Mutter das nötige Geld, damit sie einer Wohnkooperative beitreten, aus dem Keller ihrer Mutter ausziehen, eine eigene Familie gründen und eigene Kinder – mich – bekommen konnte. Insofern bin ich ganz froh, dass mein Onkel damals in diese Grube gefallen war.
Mit meinen Fruchtfreunden fuhren wir aus der Stadt nach Glücklitz, ich wollte ihnen nämlich unbedingt meinen Garten zeigen. Bis jetzt waren alle Versuche, dort exotische Früchte anzupflanzen, gescheitert. Bis auf den Meerrettich sind sie alle eingegangen. Aber wer weiß, vielleicht wird man in ein paar Jahren, wenn die globale Erwärmung bis dahin noch anhält, nicht mehr nach Ecuador fliegen müssen, um Bananen für Osteuropa einzukaufen.
Mein Garten atmete nach dem langen Winter durch, und die Erde war in einem Schachbrettmuster von Maulwurfshügeln durchlöchert, als hätten die Tierchen eine undurchsichtige Partie gespielt und am Ende in einer Pattsituation alle Figuren aufgefressen. Was sie dazu gebracht hatte, so viele Löcher nebeneinander zu bohren, blieb mir für immer ein Geheimnis. Auch sie suchten wahrscheinlich nach dem einzig richtigen Garten, auch sie fühlten sich vertrieben. Jedes Mal, wenn sie nach oben kamen, hofften sie, endlich an der richtigen Stelle herausgekommen zu sein, ihr gesegnetes Mallorca erreicht zu haben. Doch kaum streckte der Maulwurf seine Nase aus dem Loch, war er enttäuscht – schon wieder die falsche Stelle! Der Himmel war aber nahe! Er konnte es zwar nicht sehen, aber er konnte es riechen, und so grub er immer weiter und weiter seine endlosen unterirdischen Gänge und hoffte, im Paradies ans Licht zu kommen, kam aber immer nur in Branden burg raus.
Weinerkenntnisse
Die beiden Frauen mit den typischen ostdeutschen Namen Jacqueline und Jeanette, die uns das Glücklitzer Haus verkauft, den Weinberg aber für sich behalten hatten, kamen ab und zu vorbei, um ihre nördlichsten Re ben der Welt zu pflegen. Jedes Mal, wenn wir uns zufällig trafen, schwärmten sie von ihrem Rotwein, den keiner im Dorf jemals gesehen, geschweige denn gekostet hatte. Auch ich habe nur ein Foto von diesem Wein im Internet gefunden. Ein ganz besonderer solle es sein, stand dort, eine Rarität, die in der Welt der Weinkenner einen hohen Stellenwert genieße. Die Winzerinnen selbst beschrieben ihn als herb, kräftig und dunkelrot, als Blut der brandenburgischen Erde quasi. Uns versprachen sie, bei der erstbesten Gelegenheit eine Flasche vorbeizubringen. Doch ihr Versprechen wurde nie Realität.
Auch im Dorf lachten die Glücklitzer nur, wenn ich sie zum nördlichsten Wein der Welt befragte. Die Männer von der freiwilligen Feuerwehr zuckten die Schultern und schüttelten die Köpfe. Anfangs, als die beiden Frauen mit dem Weinbau angefangen hatten, hatten die Einheimischen gedacht, der Weinberg würde mehr Licht in ihr Dorf bringen. Sie hatten von dörflichen Weinfesten und öffentlicher Verkostung im Haus des verloren gegangenen Gastes geträumt. Die Winzerinnen zogen sich dann aber aus dem Dorfleben weitgehend zurück. Entweder tranken sie alle Vorräte selbst, oder die Ernte war so mager, dass sie damit nicht angeben konnten.
»Sie hätten dir diesen Weinberg bestimmt auch gerne verkauft, sie dürfen bloß nicht, weil sie Geld dafür vom Staat bekommen haben und zehn
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