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Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)

Titel: Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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Köpke rechnete schnell im Kopf.
    »Ich habe nur drei, aber die vierte schaffen wir sicher über Nacht«, meinte er und lief zu sich ins Haus.
    Die halbe Nacht konnte ich nicht einschlafen. Ich hörte den Hahn krähen, die Hühner und Herrn Köpke ächzen und bereute innerlich diese gewaltige Bestellung, die den Betrieb des Nachbarn deutlich überforderte und mir den Schlaf raubte. Aber die Mühe war nicht umsonst. Bereits um 8.00 Uhr früh stand Herr Köpke mit stolzem Lächeln vor meiner Haustür mit einer vierten Eierpackung. Geschafft! Hinter seinem Rücken hörte ich die Hühner laut ausatmen.
    Doch die Wege der kapitalistischen Produktion sind unvorhersehbar. Kaum einen Monat später veränderte sich die Eiermarktsituation im Dorf erneut – und zwar gewaltig. Bereits Ende März hatte ich Herrn Köpke vergeblich gebeten, uns Eier zu verkaufen. Er schüttelte nur den Kopf und meinte, seine Hühner würden sich jetzt ihre ganze Kraft für die Ostertage sparen, weil sie dann immer mehr legen müssten als sonst. Die sparsamen, doch abergläubischen Glücklitzer, die Herrn Köpkes Eier für 2,50 Euro im Alltag stets ignoriert hatten, wollten zu Ostern keine Supermarkt-Eier im Haus haben. Wir blieben deswegen ohne Omelett. Die osternbedingten Engpässe in der Eierproduktion brachten mich auf den dummen Gedanken, mir eine eigene, ostern-unabhängige Hühnerschar anzuschaffen. Ob unsere Berliner Nachbarn einen Hahn auf dem Balkon akzeptieren würden? Oder würden sie uns für Tierquäler halten?
    In meiner Straße im Prenzlauer Berg werden regelmäßig Plakate aufgehängt, die dazu aufrufen, für mehr Hühnerbeinfreiheit zu demonstrieren. Das scheint ein deutsches Dauerthema geworden zu sein. Die Laternen und Treppenhäuser der Stadt waren schon immer mit Aufrufen beklebt, nur die Inhalte änderten sich. Früher, als ich hierherzog, war alles mit Altkleidersammlung-Angeboten und Werbeplakaten für weite Reisen zugeklebt. Später, als eine mittelgroße Konzerthalle in unserer Nachbarschaft aufmachte, kamen Ankündigungsplakate für Konzerte nicht mehr junger, aber immer noch umtriebiger Rampensäue dazu. Alice Cooper kam, Marius Müller-Westernhagen und sogar Michail Gorbatschow. Auf seinem Plakat hieß es, er würde sich von der Bühne aus an sein Leben als letzter Generalsekretär erinnern und dabei von einem Pianisten begleitet werden. Am Tag der Veranstaltung konnte ich keinen Parkplatz mehr vor dem Haus finden. Alles deutete auf regstes Publikumsinteresse hin. Gorbatschow ist in Deutschland wesentlich populärer als in seiner Heimat. Vielleicht war auch der Pianist nicht übel, es war mir allerdings nicht ganz klar, ob er Gorbatschow schon immer begleitet hatte oder erst später dazugekommen war.
    In der letzten Zeit wird für die Konzerthalle weniger plakatiert, stattdessen hängen unzählige Einladungen zu Yoga-Kursen und Meditationen herum. Beinahe von jedem Baum lächelt uns ein Guru an. Auch Aufrufe zu politischen Veranstaltungen sind wieder in Mode gekommen: Demos gegen die Macht der Banken, gegen Kürzungen im sozialen Bereich, gegen Massentierhaltung. Den letzten Aufruf haben meine schwäbischen Nachbarn sogar bei uns im Treppenhaus auf das Anzeigenbrett geklebt. Darauf wurde dagegen protestiert, dass Hühner mit Antibiotika gefüttert und in engen Käfigen gehalten wurden. Die hühnerhaltenden Bauern sollten sich nicht von ihrer Profitgier, sondern von ihrer Tierliebe leiten lassen.
    Das Mitleid, das die Berliner für Hühner empfinden, ist gut nachvollziehbar. Es ist schon schlimm genug, dass die meisten Hühner aufgegessen werden, aber vorher werden sie auch noch gefoltert. Wir müssen dafür sorgen, dass Hühner ihr sogenanntes Leben, also die kurze Überbrückungszeit zwischen Ei und Kochtopf, einigermaßen genießen können. Nur liebenswürdig gehaltene Hühner schmecken uns, so habe ich den Sinn dieses Protestes verstanden. Warum also für Hühner demonstrieren, statt sich welche anzuschaffen und sie frei auf dem Hof laufen zu lassen?, fragte ich mich.
    Niemand bei uns im Haus hielt Hühner, dafür aber Zwergkaninchen, Meerschweinchen und Ratten. Sie wurden nicht verspeist, sondern sie lebten lange und gut. Siegfried und Brunhilde, die zwei kleinen niedlichen Ratten unserer schwäbischen Nachbarn, wurden noch angeschafft, als das Kind, dem sie gehörten, in die Grundschule kam. Die Nager sollten das Kindchen mit der Tierwelt vertraut machen und dann auf natürliche Weise sterben. Ihre Lebenserwartung

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