Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition)
bleibt an manchen Stellen deutlich länger als früher liegen. Auch das Ende der Welt nach dem Maya-Kalender kam in Russland durch die Abschaffung der Winterzeit eine Stunde früher als im übrigen Europa. Besonders Letzteres werden die Russen dem Zwischenpräsidenten nie verzeihen. Schon wieder haben wir den Kürzeren gezogen!, regte sich die Bevölkerung auf. Während ganz Europa noch eine ganze Stunde auf den Tischen tanzt, ist bei uns schon Schluss! Die Tatsache, dass auch dieses Ende kein endgültiges, sondern nur ein vorübergehendes war und die Welt keinen Millimeter unterging, hinderte die Russen nicht, den Zwischenpräsidenten auch weiterhin für die fehlende Stunde zu hassen. Ich glaube, wenn die Russen von ihrem Wahlrecht jemals Gebrauch machen, hat er jegliche Chance verspielt, noch einmal Zwischenpräsident zu werden. Er bleibt aber guter Dinge und froher Hoffnung auf eine weitere politische Karriere, weil so gut wie jeder hier weiß, wer der Chef in diesem Garten diesseits von Eden ist.
Katzen
Ich habe mit dem Förster einen Deal gemacht: fünf Kubikmeter Holz für hundert Euro in bar plus lebenslangen freien Eintritt bei der Russendisko in der Scheune. Er brachte gleich am nächsten Tag gut gelaunt eine Fuhre toter Bäume aus dem Wald und lud sie auf dem Grundstück vor unserem Haus ab. Dort lagen sie eine Weile, Alt und Jung, Dick und Dünn, ein ehemaliger sozialistischer DDR -Wald, nicht fein genug für die kapitalistischen Specksteinkamine, aber genau richtig für das Lagerfeuer der Migranten.
In den zwei darauffolgenden Wochen sägte und hackte ich wie ein durchgeknallter Holzfäller, der ins Guinnessbuch der Rekorde kommen will. Meine Freunde und Familienangehörigen machten sich lustig über meine Holzhackerei und filmten mich mit ihren Fotoapparaten und Telefonen. Sie drohten, die Videos ins Internet zu stellen, mit Rammsteinmusik im Hintergrund, wenn ich nicht sofort die Axt fallen ließe und mich dem friedlichen Austrinken alkoholischer Getränke anschließen würde. Ich ließ mich jedoch nicht provozieren und hackte verbissen weiter, bis alle fünf Festmeter Holz lagerfeuertaugliche Form hatten. Danach fühlte ich mich wie neugeboren und war so glücklich wie ein Mensch, der endlich den alten Sinn des Lebens erfolgreich zerhackt und dadurch einen neuen gefunden hat. Wie wenig braucht der Mensch doch, um glücklich zu sein! Nichts wünschte ich mir in diesem Augenblick sehnlicher, als noch mehr Holz zu hacken.
»Wahrscheinlich liegt es dir im Blut, vielleicht waren deine Vorfahren Holzfäller«, hänselten mich meine Freunde. Ich sagte nichts dazu. Es ist doch ohnehin klar, dass die Vorfahren der meisten von uns früher einmal Holzfäller, Jäger und Fischer, Sammler und Kletterer waren. Noch früher liefen die Urmenschen kräftigen Tieren, vor allem großen Katzen, Tigern und Löwen, hinterher und aßen alles auf, was diese aus Mangel an Appetit hinterlassen hatten – Knochen, Haut und Organreste. Erst durch diese Ernährung wurden die Menschen schlauer, lernten, selbst zu jagen und machten sich so von großen Katzen unabhängig.
Doch die gute Beziehung aus der alten Zeit ist tief im Unterbewusstsein von Mensch und Katze gespeichert. Die großen Katzen sind den Menschen nach wie vor relativ wohlgesonnen. Sie greifen sie nicht ohne Not an und jagen sie äußerst selten. Andererseits haben die Menschen eine große Liebe zu kleinen Katzen entwickelt. Sie lassen sie bei sich zu Hause wohnen, streicheln und füttern sie mit speziellen Katzenkonserven aus Dankbarkeit für die frühere Zeit, als Katzen ihnen noch die Knochen ihrer Beute überließen.
Russen haben besonders große Achtung vor Katzen. Einem russischen Aberglauben zufolge bewachen Katzen das Tor zur Hölle, man sollte sie also hier auf Erden lieber nicht ärgern. Denn die Wege Gottes sind unergründlich, und es kann jedem, sogar einem Heiligen, passieren, dass er nach seinem Tod in der Hölle landet. Dort werden dann Katzen darüber entscheiden, ob der Heilige kurz rausgehen darf, um in Ruhe eine Zigarette zu rauchen und frische Luft zu schnappen. In Russland rechnen viele nach ihrem Ableben mit einem möglichen Aufenthalt in der Hölle. Sie trainieren jetzt schon, indem sie sich bemühen, ihr irdisches Leben maximal an höllische Lebensbedingungen anzugleichen. Deswegen sind Katzen in Russland heilig und unantastbar.
Aber nicht nur in Russland gelten diese Tiere als heilig. Im alten Ägypten wurden Katzen als Geschenk des
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