Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)
hatten Namen wie TeamUlm, Lokalisten oder Studi VZ. Letzteres wurde für 80 Millionen Euro von einer deutschen Verlagsgruppe aufgekauft, die wenig später erkennen musste, dass sie das Geld auch hätte verbrennen können, denn es kam, wie es im Internet oft kommt: Die Großen schlucken die Kleinen. So wurden auch die kleinen sozialen Online-Netzwerke von den eingangs erwähnten weltumspannenden großen abgelöst, deren Mitgliederzahlen sich nach Hunderten von Millionen bemessen. Kunststück, möchte man meinen: Menschen werden seit Aristoteles als Gemeinschaftswesen (griechisch: zoon politikon ) beschrieben; und so ist es nicht verwunderlich, dass die junge Generation die Technik aufgreift, die es ihr ermöglicht, diese nur allzu menschliche Eigenschaft endlich zur vollen Entfaltung zu bringen.
So zumindest wird es uns von einer breiten Schar vermeintlicher Experten alltäglich berichtet. Oder sollte ich sagen: vorgebetet? Denn es werden immer wieder die gleichen Behauptungen aufgestellt, ohne dass sie mit Daten und Fakten unterlegt werden. Die Frage sei daher hier gestellt: Was ist daran wahr? Was sagt die Wissenschaft, speziell die Gehirnforschung?
Das Gehirn wächst mit der Gruppe
Wie aber verhält es sich mit dem Zusammenhang zwischen der Größe des sozialen Gehirns und der Größe des sozialen Netzwerks? Um hier endgültige Klarheit zu schaffen, müsste eine Langzeitstudie durchgeführt werden, die sich aus ethischen Gründen verbietet: Man müsste nämlich junge Menschen in zwei Gruppen einteilen und dann die einen in großen und die anderen in kleinen sozialen Netzwerken aufwachsen lassen. Wenn alle erwachsen sind, müssten dann die Gehirne vermessen werden. Man braucht wahrhaftig keine Ethik-Kommission, um diese Studie nicht durchzuführen!
Deswegen ist eine im Fachblatt Science publizierte Studie von britischen Wissenschaftlern um Jérôme Sallet und Matthew Rushworth von der Oxford University von besonderer Bedeutung. [122] Die Wissenschaftler untersuchten den Zusammenhang zwischen Gehirngröße und Größe des sozialen Netzwerks an Rhesusaffen (Macaca mulatta) mittels genauer anatomischer Gehirnbilder bei 23 Tieren, die zuvor für mehr als ein Jahr in sozialen Gruppen verschiedener Größe gelebt hatten. Die Affen entstammten einer Forschungskolonie von insgesamt 34 Tieren, von denen die anderen Tiere jeweils Teil anderer Studien waren.
Die Gruppengröße variierte – es gab sehr kleine Gruppen und solche mit bis zu sieben Tieren. Ansonsten wurden alle Tiere gleich behandelt. Alle bei den Gehirnen der einzelnen Tiere beobachteten Unterschiede sind damit auf die Größe des sozialen Netzwerks zurückzuführen. Es ergab sich ein Zusammenhang zwischen der Gruppengröße und dem Gehirnvolumen im temporalen Cortex sowie in Teilen des präfrontalen Cortex. Negative Zusammenhänge fanden sich insgesamt nicht; bei keinem Tier schrumpfte das Gehirn, wenn die Gruppengröße zunahm (und umgekehrt). Demgegenüber wurde bei den Affen in größeren Gruppen ein Anstieg der Dichte der grauen Substanz in den betroffenen Gehirnarealen beobachtet; er betrug etwa fünf Prozent für jedes zusätzliche Gruppenmitglied.
Um die Hypothese zu prüfen, dass das bessere soziale Denken letztlich zu einem erfolgreicheren Sozialleben und damit zu einem Aufstieg in der sozialen Rangordnung innerhalb der Gruppe führt, bestimmten die Autoren bei insgesamt elf männlichen Tieren den Zusammenhang zwischen der sozialen Stellung (in Bezug auf die anderen Gruppenmitglieder) und der Gehirngröße. Hierbei zeigte sich in einem Bereich des präfrontalen Cortex eine Größenzunahme mit zunehmender sozialer Dominanz. Mit jedem Prozentpunkt der Zunahme der relativen sozialen Dominanz nahm in diesem Bereich die Dichte der grauen Substanz um 0,31 Prozentpunkte zu. Wer in der sozialen Hierarchie weiter oben steht, setzt also sein soziales Gehirn mehr ein und fördert dessen Wachstum. Hier das Fazit der Autoren: »Zusammenfassend lässt sich sagen, dass größere soziale Netzwerke Veränderungen in Bereichen der Gehirnrinde verursachen, die mit Regionen überlappen oder an Regionen angrenzen, in denen die Dichte der grauen Substanz mit sozialer Dominanz korreliert.«
Schließlich untersuchten die Autoren noch, wie gut bei den Tieren die für das Sozialverhalten zuständigen Areale des Gehirns mit anderen Gehirnbereichen verknüpft sind. Man nennt dies funktionelle Konnektivität. Um sie zu untersuchen, wählte man einen Bereich im
Weitere Kostenlose Bücher